Abstimmung in Herrliberg

«Schämt euch!» – Stimmberechtigte verduften und werden ausgebuht

· Online seit 30.06.2023, 17:08 Uhr
Die Gemeindeversammlung in Herrliberg lockte eine rekordverdächtige Anzahl Teilnehmende an. Als das heisseste Traktandum durch war, machte sich eine Reihe von ihnen aus dem Staub. Dafür kassierten sie heftige Schelte.
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Für die Politik im eigenen Dorf hält sich das Interesse in der Regel in Grenzen. Seit vielen Jahren klagen die Gemeinden über halbleere Gemeindeversammlungen. Was am Mittwochabend in Herrliberg am Zürichsee passierte, war deshalb umso erstaunlicher: Über 500 Stimmberechtigte und zahlreiche Interessierte strömten zur Gemeindeversammlung. Eine rekordverdächtige Anzahl. Da der Platz im Hauptsaal nicht ausreichte, übertrug die Gemeinde die Voten gleichzeitig auf einem Bildschirm in einem zusätzlichen Saal.

Für den Ansturm sorgte ein heisses Traktandum: die Dorf-Badi Steinrad. Zur Abstimmung stand eine Initiative namens «Schöneres Steinrad», die eine andere Gestaltung als das Projekt der Gemeindebehörde vorsieht. Bis das vierte der acht Traktanden an der Reihe war, mussten sich die Stimmbürgerinnen und -bürger bis gegen 22.30 Uhr gedulden. Danach ging es schnell: Nach einem Antrag auf Abbruch der Diskussion stimmte die Mehrheit der Stimmberechtigten der Initiative zu.

Gleich danach verduftete eine Reihe von Stimmberechtigten. Dabei ging es in der noblen Goldküsten-Gemeinde nicht ganz so nobel zu und her. Beim Verlassen des Saals kassierten die vorzeitig Heimkehrenden Buhrufe. «Schämt euch», riefen einige Männer. Sie sollten besser auch an den anderen Gemeindeversammlungen auftauchen, warfen sie ihnen vor. Schelte gab es auch von Gemeindepräsident Gaudenz Schwitter (FDP). «Das ist höchst unanständig», tönte es aus seinem Mikrofon.

«Schlicht nicht anständig und respektlos»

Die Gemeinde Herrliberg hält an der Kritik fest. «Das vorzeitige Verlassen einer Gemeindeversammlung ist schlicht nicht anständig und respektlos gegenüber der Institution und allen Beteiligten», sagt Gemeindeschreiber Tumasch Mischol auf Anfrage von ZüriToday. Dasselbe gelte für zu spätes Erscheinen. «Zudem stört dies den Ablauf, den Betrieb, bringt Unruhe in den Saal.» Auch weist er darauf hin, dass eine mögliche Wiederholung der Abstimmung zu einem späteren Zeitpunkt zu anderen Mehrheitsverhältnissen führen könne.

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Abschliessend meint Mischol: «Das vorzeitige Verlassen der Gemeindeversammlung kommt wohl in allen Gemeinden vor und steht meist im Zusammenhang mit einer Interessensvertretung zu einem bestimmten Geschäft.»

«Da müssen Behördenvertreter einstecken können»

Hannes Germann, Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands, hat Verständnis für Stimmberechtigte, die Gemeindeversammlungen vor dem Ende verlassen. Es sei unschön für die verbleibenden Stimmberechtigten und für diejenigen, welche die Versammlung leiten. «Aber man muss damit rechnen, dass die Leute nicht ewig bleiben können, wenn sich eine Gemeindeversammlung in die Länge zieht.» Es gebe ja auch noch Teilnehmende, die kleine Kinder hätten oder am nächsten Tag früh aufstehen müssten. «Da müssten die Behördenvertreter einstecken können».

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Um zu verhindern, dass sich Stimmbürgerinnen und Stimmbürger vorzeitig aus dem Staub machen, schlägt Germann eine angepasste Traktandenliste vor. «In diesem Fall ist es sinnvoll, wenn alle unumstrittenen Vorlagen an den Anfang gesetzt werden.»

veröffentlicht: 30. Juni 2023 17:08
aktualisiert: 30. Juni 2023 17:08
Quelle: ZüriToday

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