Gefangenenlisten und Harddisks

Milieubeizer Gisler überrascht Zürcher Kantonsrat mit «Weihnachtsgeschenk»

19.12.2022, 11:05 Uhr
· Online seit 19.12.2022, 10:40 Uhr
Der Kantonsrat hat am Montag die Debatte zum Datenleck der Justizdirektion aufs neue Jahr verschoben. Gleichzeitig stand vor dem Ratssaal derjenige, der den Skandal erst ins Rollen brachte – und lieferte gleich neue sensible Daten mit, inklusive Adresslisten von Gefangenen.

Quelle: CH Media / Daniel Fernandez

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Während der Kantonsratssitzung am Montagmorgen sorgte Roland Gisler für kuriose Szenen. Vor dem Ratssaal in der Messehalle 9 kreuzte der Milieubeizer und Wirt der berüchtigten Rocker-Bar Neugasshof mit jeder Menge sensibler Daten auf: Harddisks, Justizakten, volle Ordner mit Adresslisten von (ehemaligen) Gefangenen und anderen Informationen.

Er wolle der kantonalen Justizdirektion ein «Weihnachtsgeschenk» überreichen, sagte er (siehe Video). Gisler war über seinen Bruder an die sensibeln Daten gekommen – dieser war von der Justizdirektion einst beauftragt worden, die Daten zu entsorgen.

Regierungsrat ist noch nicht bereit

Drinnen im Saal war dann freilich weniger los: Der Kantonsrat kann erst dann über eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) entscheiden, wenn der Regierungsrat eine Interpellation zum Thema Datenleck beantwortet hat.

Der Vorstoss wurde zwar eingereicht, die Antwort lässt nun aber auf sich warten. Der Regierungsrat beantragte, dieses Geschäft aufs neue Jahr zu verschieben. Er sei noch nicht bereit, die Fragen zum Datenleck in der Justizdirektion zu beantworten.

Bürgerliche kritisierten Verschiebung

SVP, FDP, GLP und Mitte wollen in ihrer dringlichen Interpellation unter anderem wissen, ob das Datenleck personelle Konsequenzen hat und ob die Regierung überhaupt einen Überblick über Art und Menge der herausgegebenen Daten hat.

Die Parlamentsmehrheit war einverstanden mit der Verschiebung und hiess den Antrag der Regierung mit 124 zu 32 Stimmen gut. Ratsmitglieder der bürgerlichen Ratsseite kritisierten die Verschiebung jedoch scharf.

Vom Duzis wieder zum Siezis

Fehr reagiere zu empfindlich auf die Kritik, die sie ja streng genommen nicht einmal sie selber betreffe sondern ihre Amtsvorgänger, sagte ein SVP-Sprecher.

Zeichen dieser Empfindlichkeit sei auch, dass Fehr einzelnen SVP-Ratsmitgliedern den Handschlag verweigere und vom Duzis wieder zum Siezis gewechselt habe.

Anfang Dezember wurde bekannt, dass eine grosse Menge Festplatten der Justizdirektion unsachgemäss entsorgt wurden. Die darauf gespeicherten, teilweise heiklen Daten gerieten dadurch in die Hände von Gisler. Auf den Festplatten waren Informationen von mehreren Staatsanwaltschaften, der Justizdirektion und vom Psychiatrisch-Psychologischen Dienst zu finden.

Papierakten und Verträge entsorgt

Allerdings kam es auch noch 2019 zu möglicherweise gravierenden Vorfällen. Papierakten wurden entsorgt, ohne sie vorher zu digitalisieren. Darunter wohl auch die Verträge mit den Personen, die für die unsachgemässe Datenentsorgung verantwortlich waren.

Eine Administrativuntersuchung zu den Vorfällen wurde bereits abgeschlossen, die Geschäftsprüfungskomission (GPK) des Kantonsrats untersucht aktuell den Umgang Fehrs mit den ans Licht gekommenen Vorfällen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zudem gegen Unbekannt.

(mhe/sda)

veröffentlicht: 19. Dezember 2022 10:40
aktualisiert: 19. Dezember 2022 11:05
Quelle: ZüriToday

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