Thomas vom Flughafen ist tot

«Ich bin aus dem 10-er ausgestiegen und du warst nicht da...»

10.02.2023, 11:01 Uhr
· Online seit 09.02.2023, 06:14 Uhr
Die Tramhaltestelle am Flughafen war sein Zuhause. Wer regelmässig mit der Linie 10 oder 12 nach Kloten fährt, kannte sein Gesicht. Sein Name war Thomas. Jeden Tag sass er da mit einem Kaffee, einer Zigarette oder einem Joint. Jetzt ist Thomas gestorben.
Anzeige

«Medizinische Gründe» sind für seinen Tod verantwortlich, heisst es auf Anfrage von ZüriToday bei der Kantonspolizei Zürich. Auf seinem Plätzchen stehen nun Trauerkerzen, Blumen und Trauerkarten. Jemand legte zwei Zigaretten hin. An der Rückwand der Haltestelle klebt ein Brief, gerichtet an «meinen Freund, den Penner».

Thomas, der schätzungsweise 50 Jahre alt wurde, war schweigsam und beachtete den stets an ihm vorbeiziehenden Pendlerstrom kaum. Einmal habe ihm eine Frau eine Wolldecke angeboten, heisst es im Brief über seinem Sitzplatz. «Hau ab mit deiner scheiss Wolldecke», habe er geantwortet. Dies seien die einzigen Worte, welche der Verfasser je vom ihm gehört habe.

Hilfe lehnte er häufig ab – bis auf den Sternen-Grill-Hamburger

Almosen nahm er praktisch nie an. Eine Pendlerin am Flughafen sagt zu ZüriToday, sie habe ihm einmal 20 Franken geben wollen. Als er diese ablehnte, legte sie ihm das Geld einfach hin. Auch Kaffee wollte er nicht geschenkt bekommen, wer wisse schon, was da alles reingemischt wurde. Den Hamburger vom Sternen Grill liess er sich jedoch gerne ausgeben, berichtet ein Mitarbeiter des Imbisswagens.

Seit sieben Jahren hat Thomas am Flughafen gelebt, erzählt der Mann vom Sternen Grill. «Früher hielt er sich noch öfter drinnen auf, doch die Polizei schickte ihn dann jeweils weg.» Denn Übernachten in Innenräumen ist ohne gültiges Flugticket nicht erlaubt. Im Umgang mit Obdachlosen arbeitet der Flughafen Zürich mit dem Sozialwerk Pfarrer Sieber zusammen. Doch Thomas, der Hilfe oft ablehnte, zog seinen Platz an der Tramhaltestelle den Notschlafstellen wohl vor.

Kanntet ihr Thomas? Habt ihr Anekdoten oder Geschichten zu ihm? Schreibt sie uns per Whatsapp oder in den Kommentaren!

«Obdachlos, weil er es so wollte»

Zur Lebensgeschichte von Thomas gibt es viel Hörensagen. Ein Pendler erzählt, er komme aus Österreich. Ein anderer berichtet von seinen reichen Familienverhältnissen. Seine Obdachlosigkeit habe er sich selbst so ausgesucht, sagen mehrere Personen. Im Hintergrund stehe ein Zerwürfnis mit seiner Lebensgefährtin.

In den letzten Wochen vor seinem Tod schien es ihm immer schlechter zu gehen, sagt eine Frau, die im Circle arbeitet und den Verstorbenen regelmässig sah.

Thomas bleibt den Pendlern und Flughafenangestellten in Erinnerung als ein stiller, mürrischer Mann. Jedoch als einer, der sich immer ruhig verhalten hat. Und als einer, der sich stets mit Anstand auf Leute eingelassen hat, die ihn auf eine Zigarette einluden.

(Linus Bauer)

veröffentlicht: 9. Februar 2023 06:14
aktualisiert: 10. Februar 2023 11:01
Quelle: ZüriToday

Anzeige
Anzeige
zueritoday@chmedia.ch