Zürcher Obergericht

Falsch verwahrter Mörder fordert 500'000 Franken Genugtuung

23.05.2023, 17:03 Uhr
· Online seit 23.05.2023, 17:01 Uhr
Das Zürcher Obergericht hat die nachträgliche Verwahrung eines verurteilten Mörders aufgehoben. Während der Mann für die ungerechtfertigte und mehr als elf Jahre dauernde Haft mindestens eine halbe Million Franken forderte, sah das Gericht keinen Spielraum für eine zusätzliche Genugtuung.
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In den 1990er-Jahren verurteilte das damalige Geschworenengericht des Kantons Zürich den Schweizer wegen Mordes, vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren. Von einer Verwahrung sah es ab.

Ringen um nachträgliche Verwahrung

Nach der Verbüssung seiner Strafe wurde der Mann im Oktober 2010 aber nicht freigelassen, sondern in Sicherheitshaft versetzt. Die Oberstaatsanwaltschaft hatte eine nachträgliche Verwahrung verlangt, die durch alle Instanzen hindurch vom Bezirksgericht im August 2013 bis schliesslich zum Bundesgericht im Dezember 2015 bestätigt wurde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kippte dies allerdings im November 2021. Daraufhin revidierte das Bundesgericht im März 2022 sein Urteil und schickte die Sache ans Zürcher Obergericht zurück, das den Mann noch im selben Monat per Präsidialverfügung aus der Haft entliess.

Da die Schweiz verpflichtet ist, das endgültige EGMR-Urteil zu befolgen, kam dem Obergericht gar kein Spielraum mehr zu - es durfte keine nachträgliche Verwahrung anordnen, wie dem nun vorliegenden schriftlichen Urteil zu entnehmen ist.

Mindestens 500'000 Franken gefordert

Umstritten war vor Obergericht aber die Frage, ob dem heute 62-Jährigen eine weitere Genugtuung zusteht. Der EGMR hatte ihm 40'000 Franken zugesprochen.

Das sei zu wenig, machte dessen Verteidiger geltend. Damit würde nur die Verletzung der Menschenrechtskonvention abgegolten, nicht aber die Unbill, die der Mann durch den über elf Jahre dauernden Freiheitsentzug erlitten habe.

Der Verteidiger verwies darauf, dass gemäss schweizerischer Praxis grundsätzlich 200 Franken pro ungerechtfertigt erlittenem Hafttag zugesprochen werden. Er verlangte deshalb eine Genugtuung, die angemessen und «jedenfalls nicht unter 500'000 Franken» sei.

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Entschädigung gering, aber gerecht

Allerdings sieht das Gesetz gemäss Zürcher Obergericht keine zusätzliche Entschädigung vor: Es besteht «kein Raum für die Geltendmachung von weitergehenden Entschädigungsansprüchen». Die Ansprüche seien abschliessend im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof vorzubringen, was vorliegend auch erfolgt sei.

Dass die EGMR-Entschädigung relativ niedrig ist, hilft dem Mann dabei nicht weiter. Bereits das Bundesgericht habe ausdrücklich festgehalten, dass «die häufig überzogenen Erwartungen der Beschwerdeführer meist enttäuscht» würden, heisst es im Urteil. Der Gerichtshof habe für den rechtswidrigen Freiheitsentzug eine aus seiner Sicht gerechte Entschädigung zugesprochen.

Der EGMR hatte die Schweiz wegen der Anordnung der nachträglichen Verwahrung in diesem Fall verurteilt. Die Delikte des Mannes seien nicht erneut geprüft worden. Auch hätten keine neuen Fakten vorgelegen. Es seien lediglich die Bedingungen für eine Verwahrung geprüft worden. Die nachträgliche Verwahrung - nach Verbüssung der Strafe - komme im Ergebnis einer zusätzlichen Bestrafung gleich.

Zudem sei auch gegen den Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» verstossen worden. So habe es zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung des Mannes die Möglichkeit einer nachträglichen Verwahrung gar noch nicht gegeben.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es wurde ans Bundesgericht weitergezogen.

(sda/lba)

veröffentlicht: 23. Mai 2023 17:01
aktualisiert: 23. Mai 2023 17:03
Quelle: ZüriToday

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