Zürcher Kantonsrat

«Eine unglaubliche Ehre» – Sylvie Matter ist höchste Zürcherin

08.05.2023, 22:47 Uhr
· Online seit 08.05.2023, 05:53 Uhr
Am Montag geht in der Zürcher Kantonalpolitik die neue Legislatur los. Zur Legislatureröffnung halten das jüngste und älteste Kantonsratsmitglied eine Ansprache. Höhepunkt bildet die Wahl der neuen Kantonsratspräsidentin Sylvie Matter (SP).
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Der 40. Geburtstag von SP-Kantonsrätin Sylvie Matter, ein Montag im Oktober 2021, Kantonsratssitzung. Der damalige Ratspräsident Benno Scherrer (GLP) eröffnete die Sitzung mit der traurigen Nachricht, dass der langjährige SP-Kantonsrat Ruedi Lais verstorben ist.

Ruedi Lais bekleidete zu diesem Zeitpunkt das Amt des zweiten Vizepräsidenten des Kantonsrates. Eigentlich wäre er damit im Jahr darauf zum ersten Vizepräsidenten geworden. Und zum Start des neuen Amtsjahres und gleichzeitig der neuen Legislatur wäre er zum Kantonsratspräsidenten – und damit zum höchsten Zürcher gewählt worden.

Als Ersatz für Ruedi Lais wählte der Kantonsrat Sylvie Matter ins Ratspräsidium. Eineinhalb Jahre später wird die 41-jährige Gymnasiallehrerin am Montagvormittag zur Kantonsratspräsidentin gewählt. Im Interview mit ZüriToday spricht die höchste Zürcherin über ihr neues Amt, ihre Familie, ihre Vorgängerin und Giraffen.

Sylvie Matter, wie gross ist die Vorfreude auf das Jahr als Kantonsratspräsidentin?

Sylvie Matter: Wahnsinnig gross! Als ich von der Fraktion angefragt wurde, ob ich das Amt übernehmen wolle, habe ich mich unglaublich gefreut, dass man mir das zutraut. Jetzt gab es im Vorfeld noch viel zu tun, auch im Hinblick auf das Wahlfest. Und jetzt kommt die Nervosität und die grosse Freude auf dieses Jahr.

Die Vorbereitung dürfte mittlerweile abgeschlossen sein... 

Es gibt auch jetzt noch Personen, die sich für die Feier am Abend an- oder abmelden. Wo ich dann schauen muss, ob ich an den Tischen und den Platzierungen etwas ändern oder rumschieben muss. Und meine Rede braucht noch den Feinschliff. Sonst gibt es nicht mehr viel vorzubereiten von meiner Seite.

Mit dem Amt sind sie neu höchste Zürcherin. Wie gross ist die Demut oder Ehrfurcht vor diesem Amt?

Die ist schon da. Es ist ein Jahr, aber in einem Jahr kann wahnsinnig viel passieren. Wenn ich daran denke, wie letztes Jahr jemand in den Ratssaal eingedrungen ist und Igelkot auf das Rednerpult gelegt hat. Da muss man dann irgendwie reagieren. Ich finde meine Vorgängerin Esther Guyer hat das fantastisch gemacht. Auch, als der Herr mit den Akten und Disketten vorbeikam und diese einfach abliefert... Das sind Sachen, da kann man sich einfach nicht darauf vorbereiten. Da ist schon eine gewisse Angst da, wo ich mich frage, was alles auf mich zukommt. Wo ich dann vielleicht nicht weiss, wie damit umzugehen. Und klar, dieses Amt bekleiden und diesen Kanton repräsentieren zu dürfen ist eine wahnsinnig grosse Ehre. Das Gefühl, ob ich dem gerecht werden kann, ist schon auch da – nebst der ganzen Freude.

Was haben Sie oder Ihre Partei, die SP, sich vorgenommen als Ratspräsidentin für dieses Jahr?

Die Partei hat mir keine Aufgaben mitgegeben. Für den Rat möchte ich aber, dass den Ratsmitgliedern – gerade auch den neuen – klar ist, was wir für eine Aufgabe haben. Wir machen die Gesetzgebung, wir ergänzen und verfeinern die Verfassung. Darauf müssen wir den Fokus legen und sauber arbeiten, uns in den Kommissionen auch genug Zeit nehmen dafür. Nicht nur für die Debatte im Rat, für diese brauchen wir aktuell sehr viel Zeit. Wir brauchen diese aber vor allem auch für eine saubere Formulierung und Arbeit in den Kommissionen. Ich war jetzt vier Jahre in der Redaktionskommission, wo wir die Formulierungen korrigieren oder anschauen, was mit einer Formulierung genau gemeint ist. Denn wir machen damit schliesslich Gesetze, die für den ganzen Kanton gelten. Wir sind schliesslich gewählt worden und sollten das auch entsprechend priorisieren.

Weiter ist es mir wichtig, möglichst breit bei möglichst vielen Verbänden oder Vereinen, welche mich einladen, vorbeizugehen. Um auch zu zeigen, wie wichtig die Arbeit ist, welche diese für unsere Gesellschaft leisten. Auch in solche Vereine, welche mir vielleicht eher fremd sind, möchte ich gehen, um so auch die Breite unserer Bevölkerung kennenzulernen. Wir haben einen unglaublich vielfältigen Kanton und das sollte man auch schätzen. Sich ehrenamtlich zu engagieren ist etwas aus der Mode geraten und ich will mit den Besuchen zeigen, wie wichtig dieses Engagement ist und dass das Engagement wertgeschätzt werden sollte. Vereine halten unsere Gesellschaft zusammen.

Sie übernehmen das Amt von Esther Guyer (Grüne), welche jetzt 25 Jahre ununterbrochen im Kantonsrat sass, ein Urgestein der Zürcher Politik ist. Wie gross ist der Druck, in solch grosse Fussstapfen zu treten?

Natürlich ist ein Druck spürbar. Esther Guyer kennt die kantonale Politik wie sonst kaum jemand im Rat. Natürlich, in dieser Hinsicht kann man es wohl fast gar nicht gleich gut machen. Wir beide stammen aus Hinwil und sind später nach Zürich gezogen. Dort hören die Gemeinsamkeiten aber auf. Ich führe auf eine andere Art, das hat man auch gemerkt die wenigen Male, als ich den Rat bereits leiten durfte. Esther Guyer hat aber natürlich wahnsinnig viel für den Rat geleistet. Davor bin ich auch ehrfurchtsvoll, wie sie sich so lange im Rat engagiert hat und gleichzeitig noch Mutter und berufstätig war. Sie hat wahnsinnig viel geleistet. Aber ich glaube, ich mache das Ganze in einer anderen Art. Und ich glaube, ich darf diese Art auch zeigen und muss nicht in Ehrfurcht erstarren wegen der grossen Fussstapfen.

Sie wussten schon, dass Sie in grosse Fussstapfen treten werden, als Sie im Herbst 2021 ins Ratspräsidium gewählt wurden...

Absolut. Ich wurde in einer aussergewöhnlichen Situation angefragt für das Amt. Wir von der SP hatten ursprünglich mit Ruedi Lais einen Kantonsrat zum zweiten Vizepräsidenten gewählt, welcher die kantonale Politik ebenfalls sehr gut und lange kannte. Und für mich ist es zu einem gewissen Grad auch so, dass ich in seine Fussstapfen treten, ihn beerben darf. Und das Amt an seiner Stelle übernehmen darf. Damit haderte ich auch eine Zeit lang, ob ich ihm gerecht werden kann. Irgendwann habe ich aber gesagt, dass ich es nicht genau gleich machen kann. Ich erfülle das Amt so, wie ich es kann, und das kommt auch gut. Wir erfuhren vom Tod von Ruedi Lais im Oktober 2021 zu Beginn einer Ratssitzung. Das war an meinem 40. Geburtstag.

Es war für uns alle ein schwieriger Tag. Das hat mir und uns auch gezeigt, wie viel in einem kurzen Zeitraum passieren kann. In den vier Jahren der letzten Legislatur passierten derart viele Sachen. Zu Beginn der vergangenen Legislatur tagten wir noch im alten Rathaus. Die Welt wurde gefühlt drei Mal auf den Kopf gestellt, wir hatten eine Pandemie, eine Energiekrise. Wir haben einen Krieg in Europa. Es hat die Welt einmal durchgeschüttelt. Und wir wissen nicht, was auf uns zukommt, aber da müssen wir versuchen, einfach tief durchzuatmen und vernünftig zu handeln.

Sie eröffnen das Amtsjahr und die Legislatur als Erste im neuen Provisorium in der Bullingerkirche, wo der Rat bis 2027 tag, bis die Sanierung des historischen Rathauses an der Limmat 2027 abgeschlossen ist... 

Das Rathaus Hard ist wunderschön geworden. Ich lade alle dazu ein, einmal auf der Tribüne dem Ratsbetrieb beizuwohnen. Es ist ein schönes Provisorium und ich finde es sehr gelungen. Und ich werde damit auch in «meinem» Zürich Präsidentin sein. Nicht in der Zunft-Stadt an der Limmat, sondern im vielfältigen Zürich, das aus ganz vielen Kulturen besteht. Das macht Zürich auch aus. Und ich glaube es tut dem Rat auch gut, in einem Stadtteil zu tagen, in dem viele Menschen keine Teilhabe an unserer Politik haben. Menschen ohne Schweizer Bürgerrecht, aber auch Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, die gar keine Zeit haben, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Das sollte uns immer wieder bewusst sein. Dass wir auch für diese Menschen Politik machen und dass die Gesetze, die wir machen auch für diese Menschen stimmen müssen. Deshalb glaube ich, tut es dem Rat gut, dort zu sein.

Auf Plakaten wirbt der Zoo Zürich damit, dass die höchste Zürcherin im Zoo lebt, nämlich die Giraffendamen. Müssen Sie jetzt etwas schmunzeln, wenn Sie diese Plakate sehen?

Esther Guyer hat einmal einen kleinen Giraffen als Geschenk bekommen wegen diesen Plakaten. Ich muss jeweils schmunzeln, ja. Weil wenn ich etwas Ruhe brauche, gehe ich gerne Tiere fotografieren. Wenn ich genug Zeit habe, dann im Wald. Dort geht es aber natürlich etwas länger, bis man ein Tier sieht. Wenn ich etwas weniger Zeit habe, dann gehe ich in den Zoo und fotografiere die Giraffen und die anderen Tiere. Durch das bin ich sehr oft bei den Giraffen und finde es auch toll, dass wir einen schönen Zoo haben. Wenn ich die Plakate sehe, muss ich lachen. Und vielleicht schaffe ich es ja, dass ich ein Foto mit einer Giraffe zusammen machen kann und dann die zwei höchsten Zürcherinnen zusammen auf dem Bild sind.

Die Giraffen gehören also schon fast zu den Lieblingstieren... 

Vielleicht gehen wir jetzt auch etwas mehr zu den Giraffen, ja. Bisher gingen wir vor allem zu den Tigern, weil meine eine Tochter am gleichen Tag Geburtstag hat, wie ein Tiger im Zoo. Aber die Tiger sind jetzt ja weg, wegen des Ausbaus. Deshalb müssen wir uns jetzt andere Lieblingstiere suchen. Aber ich muss zugeben, rund um die Lewa-Savanne im Zoo Zürich sind die Erdmännchen meine Lieblingstiere. Sie sind unglaublich herzig.

Zurück zur Politik: Der Montag ist nicht nur Start des neuen Amtsjahres sondern auch der Legislatur. Was bedeutet das für Sie als Kantonsratspräsidentin?

Es macht den ganzen Anlass etwas anders. Das jüngste und älteste Ratsmitglied eröffnen die Legislatur. Dann müssen die Ratsmitglieder vereidigt werden. Im Vorfeld gab es jetzt auch die Forderung von AL und Grünen, dass Isabel Garcia nicht vereidigt wird. Wir werden also etwas anders in die Legislatur starten, wals wir uns das gewöhnt sind. Weil es auch viele neue Ratsmitglieder gibt, will ich es auch zur Sprache bringen, wie wir mit dieser Verantwortung umgehen sollten.

Auf was freuen Sie sich am meisten im Hinblick auf die Wahlfeier am späteren Montagnachmittag?

Ich freue mich sehr, dass nicht nur mein Mann sondern auch meine beiden Töchter dabei sein werden. Weil ohne die Zeit, in welcher sie auf mich verzichten, wäre das Ganze nicht möglich. Ohne ihr Einverständnis hätte ich das nicht machen können. Ich weiss auch, dass das ein Opfer ist, welches meine Familie für mich bringt. Deshalb ist es mir unglaublich wichtig, dass sie dabei sein können. Damit sie auch sehen, für was ich mich engagiere. Sie sind sieben und elf Jahre alt. Nicht mehr ganz klein, aber in einem Alter in dem sie die Eltern und auch Gespräche mit dem Mami brauchen. Und ich werde weniger Zeit haben für sie, das muss man sich bewusst sein und sich auch eingestehen. Dass sie mir diese Möglichkeit geben, ist mir sehr wichtig.

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(Das Interview wurde am Donnerstag, 4.5.2023 geführt)

veröffentlicht: 8. Mai 2023 05:53
aktualisiert: 8. Mai 2023 22:47
Quelle: ZüriToday

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