Dubioser Kongress findet im Zürcher Volkshaus Unterschlupf

Von gesunder Erde bis zu Reptilienmenschen, vom Kompostierer bis zum Medium. Ende Mai treffen sich die Aushängeschilder der Esoterik- und Verschwörerszene mitten in Zürich. Titel des zweitägigen Kongresses: «Vision des Guten und das Manifest der neuen Erde».

Die Preise, um bei den Referaten dabei zu sein, variieren. Mindestens 189 Franken kostet der Event. Um in der ersten Reihe zu sitzen, zahlt man 777 Franken. Der Erlös geht an die Stiftung «Seelenzucker» eines Berner Handauflegers.

Sektenbeobachtungsstelle ist vor Ort

Unter den Referenten finden sich einige bekannte Gesichter, wie die WOZ berichtet. So wird der Schweizer Daniele Ganser mit von der Partie sein. Ganser ist Historiker und mittlerweile in der Verschwörungsszene nicht nur angekommen, sondern mittendrin. Aktuell ist er auf Deutschlandtournee, wo er vor Tausenden von Leuten Putin-freundliche Theorien zum Ukraine-Krieg verbreitet. Die deutsche Zeitung «Frankfurter Allgemeine» bezeichnete Ganser jüngst als Star der Putin-Versteher.

Es finden sich aber auch weitaus problematischere Leute am Kongress, mindestens zwei unter ihnen sind laut der Sektenbeobachtungsstelle Relinfo herauszustreichen. Die Sektenbeobachtungsstelle will denn auch den Kongress vor Ort verfolgen.

Zu sehen bekommen die Besuchenden das «Medium» Christina von Dreien. Der aus dem Toggenburg stammende einstige Kinderstar hat eine sektenartige Gefolgschaft. Laut Julia Sulzmann von der Sektenbeobachtungsstelle Relinfo verbreitet sie diverse Verschwörungserzählungen von der Hohlerde über Reptilienmenschen bis zur Behauptung, Corona sei inszeniert gewesen.

Der zweite auffällige Redner heisst Ricardo Leppe. Leppe ist gelernter Zauberkünstler und selbsternannter Bildungsexperte aus Österreich. In seinen Youtube-Talks propagiert er die antisemitische «Neue Germanische Medizin» oder wirbt für die völkische Buchreihe «Anastasia». Die Anastasia-Bewegung wird in Österreich und einigen deutschen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Bewegung kann als verschwörungsideologisch, rassistisch und antisemitisch bezeichnet werden.

Bezüge zur Reichsbürgerideologie

Sowohl von Dreien und Leppe wie auch Daniele Ganser haben das sogenannte «Manifest der neuen Erde» unterzeichnet. Das Dokument beinhaltet neben Bezügen zur Rechtsesoterik auch solche zur Reichsbürgerideologie. Kern des Manifests ist die Forderung nach einer Ablösung der Demokratie und der Regierungen durch sogenannte Weisenräte – und als solche bezeichnen sich Ganser und Konsorten auf der Website gleich selbst.

Das Volkshaus hat bei der Betriebskommission abgeklärt, ob es noch opportun sei, Ganser eine Bühne zu geben. Volkshaus-Präsident Kaspar Bütikofer sagt gegenüber der WOZ: «Die Betriebskommission hat beim israelitischen Gemeindebund nachgefragt, ob er Ganser und seine Theorien als antisemitisch erachte. Er hat dem Volkshaus mitgeteilt, er habe bisher keine antisemitischen Vorfälle bei Ganser registriert.»

In Hannover war die Liberale Jüdische Gemeinde anderer Meinung und warnte vor der Ganser-Veranstaltung, «denn krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, sind keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren».

Meinungsäusserungsfreiheit als höchstes Gut

Auf den Guru- und Scharlatan-Kongress angesprochen, sagt das Volkshaus, dass man die Inhalte als problematisch einschätze und Verschwörungstheorien ablehne. Trotzdem gewichte das Volkshaus die Meinungsäusserungsfreiheit höher und übe keine Zensur. Veranstaltungen, die nicht gegen die im Leitbild festgelegten Grundprinzipien von Toleranz und Respekt verstiessen, dürften stattfinden. Aber es gebe durchaus rote Linien: Rassismus oder Sexismus, Aufrufe zur Gewalt würden nicht zugelassen.

Das Volkshaus beherbergt nicht nur diesen Kongress im Mai. Seit einer Weile veranstalten im Volkshaus auch andere Gurus aus der Esoterikszene teure Events und die Arbeitsgruppe «Freie Energie» trifft sich im Volkshaus zum monatlichen Höck. Und zwei Aushängeschilder der Coronaleugnerinnen und -leugner, die Komiker Marco Rima und Andreas Thiel, treten im Volkshaus auf.