Zürich

Dieser Zürcher Coiffeur will die Branche retten

«Wir sind nicht ‹nur› Coiffeure»

Dieser Zürcher Coiffeur will die Branche retten

29.03.2023, 11:44 Uhr
· Online seit 24.03.2023, 16:54 Uhr
In der Coiffeur-Branche gebe es «etliche Missstände» – sagt Graziano Cappilli aus Rüti. Darum hat er eine Petition lanciert. Was die Probleme sind, wie schlecht es um Schweizer Coiffeusen steht und was er sich wünscht, verrät er im Gespräch mit ZüriToday.
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Mal ganz ehrlich: Wie wichtig sind dir deine Haare? Für die meisten von uns sind sie mehr als blosser Kopfschutz. In der Antike war man sogar der Ansicht, dass in den Haaren Seele und Lebenskraft steckten. Kein Wunder, dass es auch viele Geschäfte gibt, die sich mit der haarigen Pracht beschäftigen. In der Schweiz gibt es etwa 13'000 Coiffeursalons. Um diese stehe es aber schlecht, sagt der Zürcher Coiffeur Graziano Cappillli. Es gebe zu viele Salons, zu tiefe Preise und Dumpinglöhne.

Cappilli arbeitet seit 25 Jahren in der Branche. Er besitzt zwei Firmen mit insgesamt elf Geschäften in den Kantonen Zürich, Zug und St.Gallen. Heute hantiert der gelernte Coiffeur nur noch an den Köpfen von Stammkunden mit Schere und Föhn. Sonst ist er hauptsächlich mit dem Management seiner Salons beschäftigt. Managen und verbessern will der 49-Jährige auch die Coiffeur-Branche. Er hat eine Petition lanciert und war bei der Frühjahrssession im Bundeshaus zu Gast. ZüriToday hat mit ihm über die Hintergründe der Petition gesprochen.

ZüriToday: Herr Cappilli, Sie sind schon mehrere Jahre aktiv in der Coiffeur-Branche. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Graziano Cappilli: Der Markt hat sich verändert, es gibt heute extrem viele Salons. Die Konkurrenz ist nicht per se schlecht – sie ist eigentlich gut und belebt den Markt. Doch ich will mehr Ordnung schaffen, die Markteintrittsbarrieren erhöhen und den Beruf wieder schützen. So haben alle die gleichen Spielregeln.

Denn heute wird der Coiffeur fast mit den Füssen getreten: Jeder und jede – ob gelernt oder nicht – kann sich Coiffeur nennen. Wozu muss man eine dreijährige Ausbildung machen, wenn schlussendlich jeder und jede Haare schneiden darf?

Haben Sie deshalb die Petition lanciert? Oder was war der Grund?

Ich höre oft von Branchenkollegen, dass ein riesiger Unmut herrscht. Gute Fachleute verlassen den Beruf und wir haben ein Nachwuchsproblem. Gewerbeschulen gehen zu – in Rüti zum Beispiel. Es gab zu wenige neue Lehrlinge.

Jungen Leuten wird abgeraten, den Beruf zu lernen, weil er zu schlecht bezahlt ist. Eltern sagen, ihr Kind sei so schlecht in der Schule und habe bis jetzt keine Schnupperlehre gefunden. Doch zum Coiffeur «reicht es ja noch». Das kann nicht sein! Oder Leute sagen auch: «Du bist ‹nur› Coiffeur.» Das ist natürlich logisch, wenn jeder und jede einen Coiffeursalon eröffnen kann. Und der schlechte Ruf zeigt sich auch beim Lohn. Doch wir können den Lohn zurzeit nicht erhöhen, weil die Kundinnen und Kunden fehlen. Es tut mir im Herzen weh, wie das langsam den Bach hinabgeht ...

In der Petition sprechen Sie von «etlichen Missständen» in der Branche. Können Sie diese ausführen?

Auf Coiffeur-Dienstleistungen gibt es eine Mehrwertsteuer von 7,7 Prozent. Das ist viel zu hoch! Wir fordern eine Senkung der Mehrwertsteuer auf 2,5 Prozent.

Auch das Lohndumping ist ein Problem. Es gibt zwar einen Mindestlohn, doch wenn ein Geschäft einen Haarschnitt für 15 bis 20 Franken anbietet und drei bis vier Mitarbeiter beschäftigt, kann es gar nicht den Umsatz erzielen, um die Mindestlöhne zu zahlen.

Am meisten liegt mir aber am Herzen, den Titel «Coiffeur» zu schützen. Wir absolvieren eine drei- bis vierjährige Ausbildung. Nicht jeder sollte einen Coiffeursalon eröffnen dürfen. Sondern nur, wer die Berufsprüfung absolviert hat. Denn da lernt man die Wirtschaftlichkeit. Zudem muss eine in der Schweiz anerkannte Coiffeur-EFZ-Ausbildung in Vergangenheit absolviert worden sein. Das beschränkt den Markteintritt.

Merken Kundinnen und Kunden etwas von den Missständen?

Ja, sehr sogar. Täglich erzählen sie, dass Salons wie Pilze aus dem Boden schiessen. Auch das Preisdumping ist Thema. Wenn der Titel «Coiffeur» geschützt wäre, könnten der Verband klare Preisvorgaben machen – ähnlich wie das bereits Ärzte und Zahnärzte tun. So wird es nicht mehr möglich sein, dass jemand einen Haarschnitt für 15 und ein anderer einen für 50 Franken anbieten. Konkurrenz soll nicht durch den Preis, sondern durch Qualität entstehen. Wenn das gilt, sollen die Besten überleben – und nicht die Billigsten. Wir können nicht existieren, wenn so viele Salons Billigpreise anbieten.

Billigpreise locken Kunden an. Und wenn jemand billig arbeitet, wird ein schlechter Ruf geschaffen. Doch dass dahinter viel Wissen steckt, vergessen viele. Coiffeure sind Fachpersonen, die über grosses Wissen in der Psychologie und Anatomie des Menschen, der Chemie und der Physik sowie im Gesundheitswesen und im Umgang mit Geräten verfügen.

Was waren die Reaktionen auf die Petition?

Die Reaktionen waren sehr positiv. Innert kurzer Zeit konnten wir schon viele Unterschriften sammeln. Coiffeure haben mich angerufen und gesagt: «Du sprichst uns aus dem Herzen.» Und: «Ich liebe den Beruf, aber ich würde ihn nicht mehr ausüben, weil ich davon nicht leben kann.»

Sie waren im Bundeshaus zur Frühjahrssession. Was haben Sie erreicht?

Wir haben viel erreicht. Wir wurden von Nationalräten zur Sommersession eingeladen, um eine Interpellation an den Bundesrat zu stellen. Ich bin überzeugt: Jetzt passiert etwas! Wir haben in der Pandemie gesehen, wie wichtig der Coiffeur-Beruf ist. So nah wie Coiffeure den Menschen kommen, kommt niemand ausser dem Arzt. Der Ruf und das Image sollen wieder hergestellt werden.

Sie wollen «die Attraktivität des Berufes zurückgewinnen». Was können die einzelnen Salons selbst unternehmen, damit sie attraktiver werden?

Viele Coiffeure sind bereits sehr innovativ. Ich hoffe, dass die Coiffeure zusammenstehen und sagen: «Jetzt ist genug!» Denn wir sind jemand! Ein Ruck muss durch die Branche gehen – mehr können Coiffeure nicht tun. Genug ist genug! Wir brauchen Unterschriften, die unsere Petition unterstützen. So schaffen wir Veränderung.

Welchen Beitrag können einzelne Personen leisten, damit es den Coiffeuren und Coiffeusen gut geht?

Ich wünsche mir, dass sich die Leute darauf zurückbesinnen, was es heisst, ein Coiffeur oder eine Coiffeuse zu sein. Damit zeigen sie, dass sie sich wünschen, dass Coiffeure einen guten Lohn haben und ihre Familie ernähren können. Und dass sie bereit sind, den Preis für ein gutes Handwerk zu zahlen. Die Leute sollen auch einsehen, dass ein Coiffeur ist nicht «nur» ein Coiffeur ist.

Wie denkst du darüber? Hat die Coiffeur-Branche ein Problem? Schreibs uns in die Kommentare!

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veröffentlicht: 24. März 2023 16:54
aktualisiert: 29. März 2023 11:44
Quelle: ZüriToday

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