Beim Scrollen durch ihr Krankenkassen-Portal ist S.L.* aus St.Gallen eine Covid-Test-Abrechnung aufgefallen. Die Rechnung von 36 Franken hat S.L. nie direkt erhalten, von der Kasse wurde sie aber bereits beglichen. Nach genauerem Betrachten stellt die St.Gallerin fest: der Arzt, der diese Rechnung ausgestellt hat, ist ihr gänzlich unbekannt.
Am vermeintlichen Testdatum hat sie sich keinem Covid-Test unterzogen. Auch die erwähnte Arztpraxis mit Zürcher Adresse kennt sie nicht, zumal sie alle ihre Corona-Abklärungen in der Ostschweiz durchgeführt hat. Das macht sie stutzig. Ist das ein Fake? S.L. sucht den Arzt auf Google. Was sie dort sieht, bestärkt ihre Vermutung.
Achtung vor «Fake-Rechnungen»
Unter den Google-Bewertungen liest S.L. etliche Kommentare von Leuten, die vor dem Arzt und dessen «Fake-Rechnungen» warnen. Auch sie hätten noch nie von diesem Arzt gehört. Und auch sie seien weder in der Arztpraxis in Zürich gewesen, noch könne das gedruckte Test-Datum stimmen.
Eine Person schreibt beispielsweise, ihr Kind, um dessen Test-Abrechnung es sich handelt, wäre zum genannten Datum in den Ferien gewesen. Ein anderer Betroffener war zur Zeit des Tests bereits Covid-positiv und zuhause in Quarantäne. Laut den Reaktionen erscheint das Ganze «sehr dubios». Viele finden das Vorgehen des Arztes «absolut unverschämt», eine «Schweinerei» und «eine Frechheit».
«Die haben alle meine Daten»
Aus den Kommentaren geht ausserdem hervor, dass die Praxis des Arztes zu keiner Zeit telefonisch erreichbar sei. S.L. hat den Arzt zwar nicht versucht zu kontaktieren, hat ihren Verdacht jedoch ihrer Krankenkasse gemeldet. Diese sagte, sie würde sich dem Fall annehmen. Für S.L. stellt die mutmasslich gefälschte Rechnung kein grosses Problem dar. «Wenigstens musste ich nichts davon selber bezahlen», sagt die St.Gallerin.
Denn die Kosten von Covid-19-Tests wurden zum Zeitpunkt des vermeintlichen Test-Datums noch vom Bund übernommen und daher direkt von S.L.s Krankenkasse beglichen. Eines kann sich die St.Gallerin allerdings nicht erklären: «Die haben alle meine Daten, vom Namen und Geburtsdatum über die Adresse bis zur AHV-Nummer.» Woher, weiss sie bis heute nicht.
Arzt dementiert Anschuldigungen
Auf telefonische Anfrage der Today-Redaktion dementierte der Arzt die Anschuldigungen und verwies auf seinen Anwalt. Dieser vermeldete in einer schriftlichen Stellungnahme, sie hätten «keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die fraglichen Leistungen allesamt erbracht, die Tests also durchgeführt wurden. Anders könnten die Testcenter unmöglich alle persönlichen Daten der fraglichen Patientinnen und Patienten erfasst haben».
Fehler bei der Datenangabe
Wie es zu Corona-Zeiten üblich war, sind viele Testcenter-Betreiber Kooperationen mit berechtigten Ärzten und Ärztinnen eingegangen, um die notwendigen Covid-Zertifikate ausstellen zu können. So auch im Fall des Zürcher Arztes, der zwischen November 2021 bis April 2022 mit einem Testcenter-Betreiber zusammenarbeitete, welcher diverse Testcenter in verschiedenen Kantonen betrieb.
Während der Arzt selber keine Covid-Tests an den diversen Standorten vorgenommen habe, erfolgten die Abrechnungen der Tests korrekterweise durch ihn, so der Anwalt. Offenbar seien also den Mitarbeitenden der Testcenter Fehler bei der Datenangabe unterlaufen. Es sei laut Anwalt denkbar, dass in der Patienten-Liste «irgendwo etwas verschoben wurde» oder dass einzelne Daten «falsch eingetragen wurden».
Die unbekannte Praxisadresse, die auf den Zürcher Arzt lautend ist, sei demnach auch mit der Testcenter-Kooperation erklärbar. Da die Buchhaltung laut Anwalt zentralisiert über seinen Mandanten lief, «schienen einige Patienten auch durch die auf den Rechnungen genannte Praxisadresse verwirrt zu sein, zumal sie den betreffenden Test andernorts vorgenommen hatten». Dies sei auf der Abrechnung jedoch nicht ersichtlich.
Rund 40 Fälle bekannt
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist über solche Verdachtsfälle informiert. «Derzeit sind dem BAG rund 40 Fälle bekannt», schreibt Grégoire Gogniat, Mediensprecher des BAG, auf Anfrage. Es stehe aber noch nicht abschliessend fest, ob es in diesen Fällen tatsächlich zu gefälschten Rechnungen gekommen sei, so Gogniat.
«Viele Fälle befinden sich in der Sachverhaltsabklärung», schreibt der Mediensprecher weiter. Die Abklärungen können laut Gogniat «zusätzliche Querschnittsanalysen oder Selektiv-Analysen auf einen bestimmten Leistungserbringer oder auffällige Leistungserbringer zur Folge haben». Aufgrund der vielen Meldungen habe das BAG für die Rückforderung zu Unrecht in Rechnung gestellter Testkosten ein Team zusammengestellt, das alle Verdachtsfälle evaluiere und das zu Unrecht bezahlte Geld zurückfordern soll.
Mutmasslich 1,6 Millionen Franken abgezockt
In einer am 9. März publizierten Medienmitteilung lässt das Bundesamt verlauten, es habe in einem spezifischen Fall bereits eine Verfügung erlassen. Dabei handelt es sich um die «Rückzahlung von Rechnungen in der Höhe von 1,6 Millionen Franken, die mutmasslich zu Unrecht gestellt worden sind». Die Verfügung sei noch nicht rechtskräftig.
Zudem hat das BAG im Zusammenhang mit der Abwicklung von Rechnungen zu Testkosten strafrechtliche Schritte eingeleitet. «Zu den jeweiligen Sachverhalten können wir keine Stellung beziehen», schreibt BAG-Mediensprecher Grégoire Gogniat. Weitere strafrechtliche Schritte seien aber nicht ausgeschlossen.
Steuerzahlende sollen nicht Kopf hinhalten
Laut offizieller Mitteilung setzt sich das BAG «entschieden dafür ein, dass den Steuerzahlerinnen und -zahlern in diesem Bereich kein finanzieller Schaden entsteht» – zumal die Corona-Tests vor Januar 2023 noch vom Bund bezahlt wurden. Das Bundesamt versichert, es werde alle Verdachtsfälle auswerten.
Verdachtsfälle dem BAG melden
Hätte die St.Gallerin S.L. auf ihrer Krankenkassenabrechnung nicht genau hingeschaut, wäre ihr die dubiose Rechnung wohl gar nie aufgefallen. Während die Google-Bewertung der Zürcher Arztpraxis aufgrund gehässiger Kommentare stetig an Sternen verliert, lässt sich nur vermuten, wie viele Abbuchungen ausserhalb von Google zusätzlich für Frust sorgen. Und wie viele gar nicht als mutmassliche Fälschungen erkannt werden.
Hinweise zu Verdachtsfällen gefälschter Corona-Test-Rechnungen können dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gemeldet werden unter [email protected].
* Name geändert
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.