Kanton Zürich

Opfer von illegalen Adoptionen sollen mehr Hilfe bekommen

· Online seit 04.02.2024, 13:44 Uhr
Tausende Menschen in der Schweiz wurden in den vergangenen Jahrzehnten Opfer von illegaler Adoption. Der Kanton Zürich will dieses dunkle Kapitel der Geschichte historisch aufarbeiten. Aus dem Kantonsrat kommt nun die Forderung, Betroffene besser bei der Suche nach ihren Wurzeln zu unterstützen.
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Tausende Kinder in der Schweiz sind von illegaler Adoption betroffen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) deckte die Unregelmässigkeiten im Bereich Adoption kürzlich in einer Studie auf – von illegalen Praktiken, Kinderhandel, gefälschten Dokumenten und fehlenden Herkunftsangaben ist die Rede. Das Ausmass ist viel grösser als bisher bekannt: Neben Sri Lanka sind auch Adoptionen aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien betroffen.

Adoptierte Personen hätten das Recht zu erfahren, ob ihre Adoption illegal gewesen ist und in welcher Form die Behörden ihre Aufsichts- und Schutzpflicht vernachlässigt haben, heisst es nun in einer dringlichen Interpellation an den Zürcher Regierungsrat. «Es ist deshalb dringend notwendig, betroffene Personen umfassend bei der Aufarbeitung zu unterstützen», schreiben Sibylle Marti (SP), Silvia Rigoni (Grüne), Tobias Mani (EVP) und Judith Stofer (AL).

«Ich denke, wir stehen erst am Anfang und können das ganze Ausmass noch gar nicht beziffern», sagt Antragsstellerin Sibylle Marti (SP) auf Anfrage. Eine Wurzelsuche könne schwierig und auch sehr aufwendig sein. «Dafür braucht es die Unterstützung der Ämter. Da das Problem viel grösser ist als bisher angenommen, sind mehr Ressourcen nötig. Es braucht Angebote für Betroffene und diese müssen bekannt gemacht werden», erklärt die SP-Politikerin.

Wie unterstützt der Kanton Zürich Betroffene von illegalen Adoptionen?

Konkret wollen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier vom Regierungsrat wissen, mit welchen Massnahmen die Zentralbehörde Betroffene von illegalen Adoptionen bei der Wurzelsuche unterstützt. Denn im Kanton Zürich ist die Zentralbehörde Adoption, die dem Amt für Jugend und Berufsberatung der Bildungsdirektion angehört, für das Adoptionswesen zuständig. Sie dient unter anderem als Auskunftsstelle bei der Herkunftssuche. Wie der Kanton das Angebot für Adoptierte breit bekannt mache und wie der Kanton die notwendigen Ressourcen sicherstelle, sind weitere Fragen.

«Wer das Bedürfnis auf Unterstützung hat, sollte diese bekommen. Es geht um sensible biografische Informationen. Dafür braucht es geschultes Personal und ein gutes Konzept», sagt SP-Kantonsrätin Marti. «Die Kosten dafür muss der Staat übernehmen.»

Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren KKJPD hatte schon im Frühling 2020 – nach einem Bericht der ZHAW über illegale Adoptionen in Sri Lanka – eine Arbeitsgruppe zur Unterstützung von adoptierten Personen bei der Herkunftssuche verabschiedet. In der Interpellation wollen Sibylle Marti und Co. nun wissen, ob der Regierungsrat die erarbeiteten Forderungen dieser KKJPD-Arbeitsgruppe sowie solche von Betroffenenorganisationen erfüllen wird.

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Betroffene aus Sri Lanka werden bereits unterstützt

Dass der Kanton Zürich die Herkunftssuche von illegal adoptierten Menschen auf die Agenda nehmen soll, wird von der Betroffenenorganisation «Back to the Roots» begrüsst. Der Verein setzt sich seit 2018 namentlich für Personen aus Sri Lanka in der Schweiz ein. «Es ist wichtig, dass die Politik sich für dieses Thema einsetzt», sagt Celin Fässler, Mediensprecherin von «Back to the Roots». Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es solche Vorstösse brauche, damit es Fortschritte bei der Unterstützung von Betroffenen gibt.

Für «Back to the Roots» sind die Ergebnisse der ZHAW-Studie eine Bestätigung der Vereinsarbeit, aber auch eine Herausforderung. Das Angebot der Organisation wird für Adoptierte aus Sri Lanka von Bund und Kantonen finanziell unterstützt und rege genutzt. Wie die Studie zeigt, sind aber auch Menschen aus anderen Ländern betroffen. «Unsere Arbeit kann wichtige Erkenntnisse für die Unterstützung dieser Menschen liefern», so Fässler weiter. In einem nächsten Schritt sollte die Unterstützung deshalb auf andere Herkunftsländer ausgeweitet werden. «Aber das sind ganz andere Dimensionen und braucht dementsprechend mehr Ressourcen.»

Aktuell bietet «Back to the Roots» adoptierten Personen, die nicht aus Sri Lanka stammen, ein telefonisches Beratungsangebot an. Dieses wird aber nicht staatlich finanziert. Ausserdem hat der Verein im vergangenen September eine Zusammenkunft von Betroffenen veranstaltet, an der auch adoptierte Personen aus anderen Ländern teilnahmen. «Dort gab es regen Zulauf», sagt Celin Fässler. «Die Möglichkeit, sich einmal mit Gleichgesinnten auszutauschen, kommt gut an und ist wichtig für die Betroffenen.»

Über die Suche von Celin Fässler nach ihren leiblichen Eltern und ihre Arbeit bei «Back to the Roots» hat TVO im Jahr 2020 berichtet:

Quelle: tvo

Jetzt ist der Regierungsrat am Zug

Der Zürcher Kantonsrat hatte schon im September 2022 mit Stimmen der SP, GLP, Grünen, Mitte und EVP ein Postulat überwiesen, das den Regierungsrat aufforderte, illegale Adoptionen aus Sri Lanka historisch aufzuarbeiten. Die SVP war damals gegen den Vorstoss, da sie den Bund hier in der Verantwortung sah.

Gegen die nun lancierte dringliche Interpellation erhebt die Partei keine grundsätzlichen Einwände. «Die Schweiz ist ein Rechtsstaat; und wenn in der Vergangenheit Unrecht geschehen ist, soll man das aufarbeiten», sagt die Wädenswiler SVP-Kantonsrätin Christina Zurfluh Fraefel auf Anfrage von ZüriToday. Allerdings sei es fraglich, ob man jetzt vorgreifen müsse, wo doch 2024 die Resultate der 2022 gestarteten Studie zur Aufarbeitung der illegalen Adoptionen im Auftrag des Kantons erscheinen soll. «Wir warten jetzt erstmal die Antwort des Regierungsrats ab», so Christina Zurfluh Fraefel.

Die neuerliche Interpellation wurde von 61 Personen unterzeichnet und als dringlich erklärt. «Das ist ein Thema, das jetzt wichtig und aktuell ist. Es sollte nicht jahrelang auf der Traktandenliste liegen bleiben», findet Sibylle Marti. Die Mindestzahl von 60 Unterzeichnenden sei schnell gefunden worden. «Alle unterzeichnenden Fraktionen haben Sympathien fürs Anliegen geäussert und finden, dass für die Betroffenen jetzt etwas gemacht werden muss.»

Der Zürcher Regierungsrat muss nun innerhalb von drei Wochen im Rahmen einer Diskussion im Kantonsrat die Interpellation mündlich beantworten.

veröffentlicht: 4. Februar 2024 13:44
aktualisiert: 4. Februar 2024 13:44
Quelle: ZüriToday

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