Nun will man auch in Richterswil eine Entschädigung
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten hunderte Personen in der Fabrik des Industriellen Emil Bührle arbeiten, weil Fürsorgeämter sie dazu zwangen. 320 Opfer der damaligen Zürcher Sozialpolitik erhalten nun 25'000 Franken pro Person als Entschädigung. Für Kurt Treichler aus Richterswil ist klar, dass auch Betroffene in seiner Gemeinde Unterstützung brauchen.
Richterswil soll der Stadt Zürich folgen
Der 81-Jährige Treichler lebte zehn Jahre im Waisenhaus, nachdem er mit vier Jahren fremdplatziert wurde. Dies berichtet die «Zürichsee-Zeitung». Er erlebte psychische Gewalt und Benachteiligung gegenüber Kindern aus intakten Familien. «Wenn eine Stadt Zürich das macht, sehe ich nicht ein, warum Richterswil das nicht machen kann», sagt er zur genannten Zeitung.
Er verweise auch auf die unabhängige Expertenkommission des Bundes, die weitere finanzielle Entschädigungen durch den Staat empfohlen hat. «Es geht mir nicht um Rache, sondern um eine angemessene Entschädigung», betont der Rentner. Ein Buch, das die Geschichte des Waisenhauses wissenschaftlich aufarbeitet, wurde von der Gemeinde Richterswil finanziert. «Dafür hat der Gemeinderat 95’000 Franken bewilligt, und für uns Opfer schaut nichts dabei heraus.»
Auch Stäfa ist mitten in der Aufarbeitung
Richterswils Gemeindepräsident Marcel Tanner (FDP) betont die seriöse Aufarbeitung der Gemeinde. «Mit Geld kann man das Leid, das diese Menschen erfahren haben, gar nicht aufwiegen», so Tanner. Er spricht sich gegen eine finanzielle Entschädigung der Betroffenen aus. Es bringe mehr, in die Aufarbeitung zu investieren, damit die Nachwelt wisse, was passiert sei und damit so etwas nicht wieder passiere.
Auch die Gemeinde Stäfa arbeitet das Leid von Opfern fürsorgerischer Unterbringung auf. Der Kredit dafür wurde aber noch nicht gesprochen. Laut Gemeindepräsident Christian Haltner (FDP) wird dieses Jahr noch darüber entschieden.
Richterswil und Stäfa zählen zu den Vorreitergemeinden bezüglich historischer Aufarbeitung des Unrechts. Doch auch kantonsweit haben Menschen unter fürsorgerischen Unterbringungen beziehungsweise Fremdplatzierungen gelitten.
(hap)