Harmlos oder homophob?

Falun Dafa – das steckt hinter der Bewegung, die am HB Zürich Flyer verteilt

· Online seit 29.08.2023, 06:45 Uhr
Sie meditieren, leben nach einem strikten Werk – und verteilen Broschüren am Hauptbahnhof Zürich. Die Anhängerinnen der Bewegung Falun Dafa. Sie bezeichnen sich als spirituelle Praxis, doch die in China verfolgte Bewegung hat auch rassistische und homonegative Züge.
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Vor wenigen Wochen drückte ein Mann am Zürcher HB Pendlerinnen einen blau-gelben Flyer in die Hand. Darauf sind eine Frau und ein Mann abgebildet, die auf einer Wiese sitzen und meditieren. Unter dem Foto: drei gelbe chinesische Schriftzeichen auf blauem Hintergrund, die mit Wahrhaftigkeit (Zhen), Barmherzigkeit (Shàn) und Nachsicht (Ren) übersetzt werden.

In grösserer Schrift darüber der Absender, Falun Dafa. Falun Dafa: Wer ist das? Und was wollen sie mit dem Flyer am Zürcher HB erreichen?

«Buddhistische QiGong-Schule»

Die Bewegung Falun Dafa, auch als Falun Gong bekannt, beschreibt sich selbst als «Spirituelle Praxis» und «Buddhistische Qigong-Schule zur Kultivierung von Körper und Geist». Die Praktizierenden sollen sich im Leben nach drei Werten richten: Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht.

Falun Dafa sei «mehr als Meditation«, es sei eine «innere Haltung», heisst es in der Broschüre weiter. Falun Dafa soll dem Ziel dienen, sich selbst zu verbessern und selbstloser zu werden. Dies soll mit fünf Übungen erreicht werden.

Das erzählt auch Ursula Bolliger, die selbst seit 23 Jahren Falun Dafa praktiziert. «Anhand der drei Falun-Dafa-Prinzipien soll man leben und sich im Alltag nach ihnen ausrichten. Ein Beispiel: Wenn etwa mein Nachbar mich wegen etwas beschuldigt, schlage ich nicht zurück, sondern überlege mir, warum er sich so verhalten hat. Ich suche also den Fehler bei mir», sagt Bolliger im Gespräch mit ZüriToday.

Religiöse Bewegung mit daoistischen Elementen

Wer den Flyer betrachtet, bekommt das Gefühl, über eine religiöse Gemeinschaft zu lesen. Doch stimmt das? Ist Falun Dafa/Falun Gong eine reine Meditationsbewegung oder weist sie religiöse Züge auf?

Georg Schmid, Religionsexperte, ordnet die Bewegung klar dem religiösen Spektrum zu. «Falun Dafa respektive Falun Gong ist eine religiöse Bewegung, die eine eigenwillige, mit daoistischen Elementen vermengte Form des Buddhismus vertritt», sagt er auf Anfrage von ZüriToday.

Ursula Bolliger sagt hingegen: «Religiöses spielt keine Rolle. Falun Dafa ist ein Selbstkultivierungsweg anhand von fünf Übungen und drei Prinzipien.»

Falun Dafa lehnt Homosexualität ab

Kopf der Bewegung ist «Meister Li» (Li Hongzhi). Er hat das Hauptwerk «Zhuan Falun» geschrieben, nach dem sich Praktizierende richten sollen. In der Schweiz kann es bei mehreren Buchhändlern gekauft werden. Schätzungen zufolge hat die Bewegung weltweit Dutzende Millionen Anhängerinnen und Anhänger.

Falun Dafa ist umstritten. Und zwar aus mehreren Gründen, erklärt Schmid. Er nennt einerseits die Ausrichtung auf den Führer Li Hongzhi. Dessen Lehre habe in kritischer Sicht rassistische Züge. So behauptet Li Hongzhi, dass «Menschen mit Wurzeln in verschiedenen Kulturen und Weltgegenden minderwertige Menschen seien, woraus das Verbot abgeleitet wird, einen Menschen mit Wurzeln in einer anderen Kultur oder Weltgegend zu heiraten», erklärt Schmid.

Li Hongzhi sieht laut Schmid auch Homosexualität und die moderne Medizin kritisch. So steht im Hauptwerk: «Die schwarze Substanz (laut dem Werk: böses Karma im Buddhismus, a.d.R) bekommen wir, wenn wir eine Übeltat begehen, Schlechtes tun oder andere Menschen schikanieren. Heutzutage sind die Menschen nicht nur profitsüchtig, sie begehen jede erdenkliche Untat, wie Homosexualität und Drogenkonsum.»

Für Ursula Bolliger steht dennoch fest: «Falun Dafa ist ein Weg, ein besserer Mensch zu werden. Und um seine Gesundheit zu verbessern. Auch Mitglieder von Religionen können ihn lernen.»

Auf Popularität folgte Unterdrückung

Falun Dafas hat seinen Ursprung in China. Seit 1992 der Öffentlichkeit in China bekannt, wurde die Bewegung anfangs vom chinesischen Staat gefördert und erlangte eine enorme Popularität. Insgesamt sollen sechs Jahre später bereits 70 Millionen Menschen Falun Dafa praktiziert haben.

Dann kam die Zäsur. Der chinesische Staat machte Propaganda gegen die Bewegung und nannte sie eine Sekte. Seit 1998 werden Falun-Gong-Praktizierende verfolgt. Die Regierung stufte die Bewegung als «Bedrohung für die soziale und politische Stabilität» ein und verbot sie, was Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilten. Genauso wie andere Gruppierungen und Minderheiten, etwa die Uiguren, landen sie im Gefängnis und Umerziehungslagern.

Diese Unterdrückung durch den chinesischen Staat ist laut Ursula Bolliger der Grund, weshalb die Falun-Dafa-Broschüren ihren Weg zu Schweizerinnen und Schweizern findet. «Wir verteilen die Broschüre, um auf die Verfolgung aufmerksam zu machen», erklärt sie. Das Flyern sei eine ehrenamtliche Arbeit, welche die etwa 60 Falun-Dafa-Anhängerinnen seit vielen Jahren in der Schweiz leisteten.

«Wir profitieren nicht davon. Wenn die Verfolgung nicht wäre, müssten wir auch nicht an die Öffentlichkeit treten», erzählt Bolliger.

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veröffentlicht: 29. August 2023 06:45
aktualisiert: 29. August 2023 06:45
Quelle: ZüriToday

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