Nach Missbrauchsvorwürfen

Droht das Ende der professionellen Ballettausbildung in der Schweiz?

24.03.2023, 13:18 Uhr
· Online seit 17.01.2023, 08:06 Uhr
Vergangenes Jahr erschütterten schwere Missbrauchsvorwürfe die Zürcher Tanzakademie. Die interne Untersuchung liegt bald vor. Scheitert damit die bald einzig verbliebene Ballettausbildung mit EFZ-Lehrabschluss in der Schweiz?
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Die Tanzakademie Zürich (TaZ) sah sich Mitte 2022 mit schweren Missbrauchsvorwürfen konfrontiert, die in einem Artikel in der «Zeit» publiziert wurden. Darin wurden Gespräche mit 13 ehemaligen Schülerinnen und Schülern wiedergegeben, welche zwischen 2007 und 2021 an der TaZ unterrichtet wurden. Vier davon liessen sich mit Namen zitieren, neun wollten anonym bleiben, um ihre Karriere nicht zu gefährden oder weil sie ihre Krankheitsgeschichte nicht öffentlich machen wollten. Es ging um Magersucht, physische und psychische Gewalt und Mobbing.

Provisorisches Leitungsteam übernimmt die Führung

Es wurde vorübergehend ein provisorisches Leitungsteam eingestellt, mit Jason Beechey und Samuel Wuersten in beratender Funktion. Die beiden bisherigen Schulleiter, Oliver Matz und Steffi Scherzer, legten ihre Ämter für die Dauer der internen Untersuchungen nieder. 2005 waren sie nach Zürich gekommen und hatten die Tanzakademie gegründet. Matz war bis anhin für die Gesamtleitung, Scherzer für die künstlerische Leitung zuständig.

Ob Oliver Matz zurückkehren wird, ist unklar. Steffi Scherzer (Jahrgang 1957) wurde auf den 31. Juli 2022 pensioniert. Die Schule will noch kein Update zum Stand der Dinge geben. Auf ihrer Webseite gibt sie bekannt, dass die interne Administrationsuntersuchung noch bis Ende des ersten Quartals 2023 dauert.

Interesse an einem Ausbildungsplatz trotz Vorwürfen unverändert

Thomas D. Meier, Ex-Rektor der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), der die Tanzakademie angehört, sagte damals: «Sollten die Vorwürfe stimmen, müsse man sagen: Unser Projekt ist gescheitert.» Weiter erklärte Meier, dass er verstehe, wenn Eltern ihre Kinder während der laufenden Administrativuntersuchung nicht an die Tanzakademie schicken wollten.

Auf die Frage, ob sich die negative Berichterstattung mit den Vorwürfen auch auf die Schülerzahl und die Zahl an Ausbildungsinteressierten ausgewirkt habe, verneint die Zürcher Hochschule der Künste, der die Tanzakademie angehört. «Die Anmeldezahlen zum Eignungstest für die Aufnahme in das Grundstudium lagen in den vergangen beiden Jahren bei 18 Anmeldungen. Für den Eignungstest für das kommende Schuljahr 2023/24 liegen bislang 21 Anmeldungen vor.»

Ausbildung mit Lehrabschluss EFZ soll bestehen bleiben

Was jetzt schon klar ist: Die Ausbildung zum professionellen Balletttänzer und zur professionellen Balletttänzerin ist indes laut ZHdK nicht gefährdet. In der Ballettschule Theater Basel hatten ähnliche Missbrauchsvorwürfe nämlich dazu geführt, dass die Lehre zur Tänzerin mit Abschluss EFZ per Ende Schuljahr 2022/2023 vollends eingestellt wird.

Dies ist insofern verheerend, als dass es mit der TaZ jetzt nur noch eine Institution in der Schweiz gibt, wo Profitänzer sowohl in Ballett eine anerkannte Lehre absolvieren können, als auch den Bachelor und den Master of Arts in Contemporary Dance. Das Departement Darstellende Künste und Film der ZHdK ist seit nunmehr zwei Jahren dabei, die Ballettausbildung neu aufzustellen.

Missstände an vier Ausbildungsstätten

Mittlerweile sind an vier professionellen Ausbildungsstätten und einer Ballettcompany Missstände zutage gekommen: in Wien, Berlin, Zürich, Basel und im Bern Ballett. Überall wurden Massnahmen getroffen, und bald wird sich zeigen, ob diese sich positiv auswirken und wie es mit der Ballettausbildung in der Schweiz und Europa generell weitergeht.

Auf die Frage, ob der Beruf des Balletttänzers eine Zukunft habe, sagte Meier der ZEIT: «Das weiss ich nicht. Das müssen wir anschauen. Die Frage ist: Kann man junge Menschen verantwortungsvoll für diesen Beruf ausbilden?» Um die Kinder und Jugendlichen in Zukunft besser zu schützen, brauche es einen Kulturwandel und vermutlich einen Generationenwechsel bei den Dozierenden.

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veröffentlicht: 17. Januar 2023 08:06
aktualisiert: 24. März 2023 13:18
Quelle: ZüriToday

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