Am Donnerstagmorgen war für neun Uhr eine Rede von Mario Draghi vor der ersten Parlamentskammer angesetzt. Der Premier wurde von zahlreichen Abgeordneten mit stehenden Applaus empfangen. Allerdings dauerte seine Rede nur wenige Worte.
Zunächst bedankte er sich bei den Abgeordneten und sagte dann: «Vor dem Hintergrund der Abstimmung gestern Abend im Senat bitte ich die Sitzung zu unterbrechen, weil ich mich zum Präsidenten der Republik begeben werde, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen.»
Anschliessend reichte Draghi seinen Rücktritt bei Präsident Sergio Mattarella ein. Dieser bat ihn, in geschäftsführender Position im Amt zu bleiben, teilte das Büro des Staatsoberhauptes in einer Erklärung mit. Der seit Februar 2021 amtierende Premier trat vor einer in der Abgeordnetenkammer geplanten Vertrauensabstimmung zurück.
Was war der Auslöser?
Auslöser der Krise war das ausgebliebene Vertrauen der Fünf-Sterne-Bewegung für Draghis Kabinett. Bei einer Abstimmung vor einer Woche hatte die mitregierende Mitte-Links-Partei Draghi wegen Uneinigkeiten über ein Hilfspaket und den darin enthaltenen Bau einer Müllverbrennungsanlage in Rom das Vertrauen verweigert und damit die Regierungskrise eskalieren lassen.
Die Mehrparteienkoalition, die der Ministerpräsident Draghi seit seinem Amtsantritt im Februar 2021 unterstützt hatte, ist damit am Mittwoch in die Brüche gegangen. Damit verfehlte der 74-Jährige sein Ziel, die Koalitionsparteien zu überreden, ihn bis Ende der Legislatur im Frühjahr 2023 zu unterstützen.
Was bedeutet das nun für Italien?
Italien rutscht damit weiter ins die politische Krise. Ausserdem könnte das hochverschuldete Land eine Gefahr für die EU und den Euro werden, wie das «SRF» schreibt. Ohne Draghi fehlt Europa ein wichtiger Garant für Stabilität. Bereits am Vormittag haben die Märkte auf die drohende Instabilität reagiert. Immerhin ist Italien die drittgrösste Volkswirtschaft der EU. Der Börsenindex in Mailand gab um zwei Prozentpunkte nach.
#24luglio. Il balletto degli irresponsabili contro Draghi può provocare una tempesta perfetta. Ora è il tempo di voler bene all’Italia: ci aspettano mesi difficili ma siamo un grande Paese.
— Paolo Gentiloni (@PaoloGentiloni) July 20, 2022
Drei grosse Parteien hatten Draghi am Mittwoch im Senat nicht mehr das Vertrauen ausgesprochen. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni kritisierte auf Twitter die politischen Entwicklungen in Rom, die nun zum Rücktritt Draghis geführt haben. «Uns stehen schwierige Monate bevor, aber wir sind ein grosses Land.»
Wie geht es jetzt weiter?
Nun könnte sich Mattarella die Zeit nehmen, um die politische Lage zu bewerten und um zu entscheiden, ob eine Mehrheit für eine neue Regierung ausgelotet werden soll oder ob nun das Parlament aufgelöst wird. Es könnte auch Konsultationen mit den Parteien starten, Neuwahlen im Herbst gelten aber als wahrscheinlich. Diese müssen innert 70 Tagen erfolgen. Als mögliche Wahltermine sind daher der 25. September oder der 2. Oktober.
Eine vorgezogene Wahl bedeutet aber auch politischen Stillstand in Italien. Eigentlich sollte das Land weitere Reformen durchsetzen, um sich auch weiterhin die Corona-Wiederaufbaugelder aus Brüssel sichern zu können. Zusätzlich soll auch der Haushalt für 2023 geplant werden, was aber im italienischen Parlament traditionell für viel Streit sorgt.
Im Fall einer Neuwahl ist das Land politisch kaum handlungsfähig und reaktionseingeschränkt – und das in Zeiten steigender Inflationen und Energiepreise.
Wer soll das Land danach führen?
Matteo Salvini, Chef der Lega und Giuseppe Conte, Vorsitzender der Cinque Stelle, haben besonders in diesen Tagen bewiesen, dass sie als Regierungschefs untauglich sind. Sie haben die aktuelle Regierung in diesem kritischen Moment ausschliesslich aus wahltaktischen Gründen gestürzt.
Die Neuwahlen könnten die politische Landschaft massgeblich verändern. Derzeit liegt die rechtsextreme Oppositionspartei Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni weit vorne. Gemeinsam mit der rechten Lega und der recht konservativen Forza Italia könnte so bald der italienische Mitte-Rechts-Block sehr viele Stimmen gewinnen. Möglicherweise reicht es am Ende sogar für eine Parlamentsmehrheit.
(sib)