Silent Cuts

Zürcher Coiffeur bietet Termine für Smalltalk-Hasser an

· Online seit 19.08.2023, 06:32 Uhr
Wer auf dem Frisierstuhl am liebsten schweigt, kann in einem Zürcher Salon am Limmatplatz einen Silent Cut buchen. Laut dem Geschäftsführer übertrifft die Nachfrage die Erwartungen. Auch manche Coiffeuse verzichtet gerne auf das Geplauder.
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«Haben Sie bald Ferien?» –  mit solchen Fragen müssen sich Kundinnen und Kunden nicht mehr herumschlagen. Im Salon Drycut am Zürcher Limmatplatz schweigen die Coiffeusen und Coiffeure auf Wunsch. Seit Juni bietet der Salon sogenannte Silent Cuts an.

Rund 50 von über 500 Kundinnen und Kunden haben laut Geschäftsführer Moritz Steinle die Option bisher gewählt. «Das Angebot ist beliebter, als wir dachten», sagt Steinle. Demnächst würden sie es auch im Salon in Winterthur und Bern ausrollen.

Inspiriert wurde Drycut von Salons in den USA und Grossbritannien. Steinle: «Wir wollen damit Kundinnen und Kunden entgegenkommen, die nach einem Tag voller Meetings keine Lust haben, beim Haareschneiden noch über das Wetter oder die Ferien zu plaudern.»

«Wollen Zeit einfach geniessen»

Zugetextet wurden die Kunden bei Drycut auch bisher nicht. Die Stylistinnen und Stylisten seien darauf geschult und merkten schnell, wenn jemand seine Ruhe haben wolle, sagt Steinle. «Wenn die Kundin oder der Kunde schnell das Handy zückt oder auf zwei Fragen nur einsilbig antwortet, sind das natürlich klare Signale.» Das Schweigen offiziell festzulegen, solle für zusätzliche Entspannung sorgen. «So hat die Kundin oder der Kunde nicht das Gefühl, aus Höflichkeit plaudern zu müssen.»

Die Option ist laut dem Geschäftsführer tendenziell vor allem bei Besucherinnen und Besuchern jüngeren und mittleren Alters beliebt. «Sie wollen ihre Zeit beim Coiffeur einfach geniessen.» Die ältere Kundschaft hingegen schätze den Smalltalk. Gleichzeitig stellt Steinle fest, dass auch das Personal die Stille geniesst. «Für die Stylisten ist es manchmal auch anstrengend, sich aus reiner Höflichkeit um ein Gespräch bemühen zu müssen.» Auch hätten sie so die Gelegenheit, sich nur auf den Haarschnitt konzentrieren zu können. «Multitasking fällt auch nicht allen Coiffeuren leicht.»

Dennoch betont Steinle: «Kunden, die sich gerne unterhalten, sind natürlich sehr gerne hierzu eingeladen.»

Ex-Coiffeuse gibt Tipp aus erster Hand

Wer den Smalltalk nicht mag und einen Coiffeur ohne offizielle Schweige-Lizenz besucht, muss jetzt aber nicht den Salon wechseln. Maja Zivadinovic, ehemalige Coiffeuse, legte Kundinnen und Kunden im SRF-Podcast Zivadiliring ans Herz, Klartext zu sprechen. «Ich würde sagen: ‹Ich finde es schön, bei dir zu sein, das ist meine ‹Me-Time›. Ich wäre froh, wenn wir uns anschweigen könnten», schlug sie vor.

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«Als Coiffeuse bist du so froh, wenn du einfach schweigen darfst», verriet Zivadinovic weiter. Die meisten Chefs bläuten ihren Angestellten jedoch ein, dass «du für die Kunden Psychologe, Psychologin und alles für den Menschen bist, der gerade auf deinem Stuhl ist». «Aber das kotzt dich einfach nur an.» Der Smalltalk war für die heutige Journalistin sogar einer der Hauptgründe, den Coiffeur-Job an den Nagel zu hängen.

«Ansonsten kann man gleich einen Roboter hinstellen»

Psychologin und Laufbahnberaterin Maria Gebhard blickt skeptisch auf die Silent Cuts. «Wer den Coiffeurberuf wählt, wählt diesen auch wegen des Kundenkontakts. Ansonsten kann man ja gleich einen Roboter hinstellen», sagt sie.

Gebhard hat zudem beobachtet, dass manche Coiffeure sich grosse Mühe für einen spannenden Smalltalk geben. «Es gibt solche, die sich extra Notizen machen und beim nächsten Termin auf das Gespräch vom letzten Mal zurückkommen.»

veröffentlicht: 19. August 2023 06:32
aktualisiert: 19. August 2023 06:32
Quelle: ZüriToday

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