Jede Schweizerin und jeder Schweizer produziert laut einem neuen Report der Meeresschutzorganisation Oceancare knapp 95 Kilogramm Plastikmüll im Jahr. ZüriToday berichtete darüber. Damit sind wir in Europa das Schlusslicht.
Beim Plastikabfall handelt es sich grösstenteils um Einwegkunststoffe, die nur einmal verwendet werden. Laut Greenpeace werden 40 Prozent des Kunststoffs in der Schweiz für Verpackungen verwendet.
Warum produziert die Schweiz so viel Plastikabfall?
Ein gängiges Argument ist, dass die Schweizerinnen und Schweizer aufgrund ihres hohen Lebensstandards so viel Plastik verbrauchen und Abfall produzieren. Eine hohe Mobilität, Konsumtrends wie On-the-Go und Take-Away sind in der Schweiz weit verbreitet, dazu kommt der hohe Kleiderverbrauch und die weite Verbreitung von SUVs mit hohem Reifenabrieb, sowie Littering, was einen hohen Kunststoffverbrauch mit sich bringt.
Ein Teil dieses Plastikabfalls landet laut Oceancare auf Feldern, in Wäldern, Flüssen oder Seen. Die Beseitigung dieses in der Umwelt entsorgten Kunststoffs koste das Land jährlich 200 Millionen Franken. Zudem könne ein Teil dieses Abfalls nicht eingesammelt werden, da er als sogenannter Mikroplastik in die Umwelt gelange.
Was ist Mikroplastik?
Als Mikroplastik werden mikroskopisch kleine Kunststoffpartikel bezeichnet. Forschende finden sie überall in beachtlichen Konzentrationen, sogar auf den schneebedeckten Gipfeln der Alpen, in abgelegenen Bergseen oder in Naturpärken. Jüngst wurde Mikroplastik sogar in der Blutbahn von Menschen gefunden und in der Muttermilch.
Mikroplastik wird mit häuslichem oder gewerblichem Abwasser in die Abwasserreinigungsanlagen transportiert. Dort wird er zu einem Grossteil abgetrennt und über den Klärschlamm entsorgt. Ein Teil davon gelangt jedoch über das gereinigte Abwasser in die Gewässer. Das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWAL) hat Abflüsse der Abwasserreinigungsanlagen (ARA), Oberflächengewässer sowie Grund- und Trinkwasser im Kanton Zürich auf Mikroplastik untersucht.
Mikroplastik auch im Zürcher Trinkwasser?
Die 64 Zürcher ARA leiten schätzungsweise etwa 600 Gramm Mikroplastik pro Tag in die Gewässer ein. Das sind etwa 31 Milliarden Mikroplastikteilchen, was der Menge an Mikroplastik entspricht, die täglich in der Limmat abtransportiert wird. Im Zürichsee befinden sich rund 8000 Milliarden Mikroplastikteilchen. Im Grund- und Trinkwasser konnte jedoch laut AWAL kein Mikroplastik nachgewiesen werden.
Die Resultate zeigen, dass viel Mikroplastik aus dem Abwasser entfernt werden kann – aber längst nicht alles. Denn: Mikroplastik braucht schätzungsweise bis zu zehn Jahre, um sich abzubauen. Alterungsschutzmittel können die Lebensdauer um bis zu 50 Jahre verlängern. Laut Oceancare soll deshalb möglichst ganz auf Kunststoffe verzichtet werden.
«Wir lösen unsere Probleme ... indem wir sie verbrennen»
Die Schweiz bewahrt ihr Image als Land unberührter Natur, der Ordnung und Sauberkeit. Sie wird als Weltmeisterin im Abfalltrennen und Recycling dargestellt, doch es werden 85 bis 90 Prozent aller Kunststoffe nach sehr kurzer Nutzung verbrannt – also weder recycelt noch wiederverwendet. Im Bericht von Oceancare heisst es, dass «wir unsere Probleme lösen, indem wir sie verbrennen.»
Der Bundesrat soll handeln
Schweizer könnten statt Take-away-Verpackungen, Einweg-Plastiktüten und Körperpflegeprodukten mit Mikroplastik Alternativen verwenden. Oceancare appelliert daher an den Bundesrat, Verantwortung für das Plastikproblem zu übernehmen. In der Schweiz könnten viele Probleme im Zusammenhang mit Kunststoffen bereits durch eine strenge Anwendung der bestehenden Gesetze behoben werden. Doch der Bundesrat schöpfe seinen Spielraum hinsichtlich rechtlich bindender Massnahmen zur Plastikreduktion nicht aus.
Kunststoffsammlung Schweiz
Für die Entsorgung von Haushaltsabfällen sind die Städte und Gemeinden zuständig. Sie können privaten Firmen die Erlaubnis erteilen, Kunststoffsammlungen einzurichten. Ob diese Partner die Abfälle auch wirklich ökologisch verwerten, sei bisher schwierig zu beurteilen gewesen. Doch nun können sich Entsorgungsunternehmen durch den Verein Schweizer Plastic Recycler zertifizieren lassen. Damit verpflichten sie sich zur Einhaltung der Umweltstandards und für Konsumentinnen und Konsumenten ist es eine Garantie, dass aus ihrem Plastikabfall auf sinnvolle Weise neue Rohstoffe erschaffen werden.
Entsorgung des Plastikmülls in Zürich
Seit Mai 2021 gibt es bei der Migros den Plastik-Sammelsack, in dem praktisch alle Verpackungen aus Plastik gesammelt werden können. Aus dem Plastikabfall werden später Verpackungen für die Migros-Industrie hergestellt.
Entsorgung und Recycling Zürich selber recycelt die Plastikabfälle nicht, sondern arbeitet mit privaten Anbietern zusammen, wie eben der Migros oder der Firma Mr. Green. Bei dieser wird der Abfall in einem «Pink Bag» entsorgt. Dieser landet schliesslich bei der Innorecycling AG im Kanton Thurgau. Das Unternehmen ist in der Schweiz im Bereich Kunststoffentsorgung und -recycling aktiv.
Lieber verzichten als recyclen
Recycling ist die eine Seite, aber das konsequente Vermeiden von Kunststoffen wäre laut Oceancare weitaus sinnvoller. Denn entgegen der gängigen Annahme können nur Bruchteile tatsächlich wiederverwendet werden.
Bei PET-Flaschen sind es laut der Organisation gerade mal 17 Prozent – obwohl dies eines der effizientesten Verfahren wäre. Die Schweiz könne sich zwar rühmen, bei vielen Materialien eine hohe Recyclingquote zu haben, aber Kunststoff sei kein Kreislaufmaterial, sagt Fabienne McLellan, Leiterin des Oceancare-Plastikprogramms.
Sie führt aus: «Die weltweite Kunststoffproduktion soll sich in 20 Jahren erneut verdoppeln und bis 2050 fast vervierfachen.»
Dass es den Schweizerinnen und Schweizern nicht egal ist, wie es um die Plastikproblematik steht, zeigte jüngst eine Umfrage im Auftrag von Oceancare: Fast drei Viertel der befragten Personen seien der Ansicht, dass die Schweiz ein Plastikproblem hat und die Mehrheit wünsche rechtlich bindende Massnahmen. Die Petition gegen unnötiges Einwegplastik hätten innerhalb von drei Tagen über 3000 Menschen unterzeichnet.
(Nina Burri)