Zürich

Was braucht es eigentlich, damit der Zürichsee komplett zufriert?

Seegfrörni

Was braucht es eigentlich, damit der Zürichsee komplett zufriert?

· Online seit 12.12.2022, 17:19 Uhr
Die tiefen Temperaturen haben Zürich derzeit im Griff. Doch wie kalt muss es sein, damit der See zufriert und wann gab es die letzte «Seegfrörni»? Wir haben die Geschichtsbücher gewälzt.
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Ungewohnt eisige Temperaturen, bis zu minus zehn Grad bei Nacht, die Stadt seit Tagen im weissen Schneekleid. Eine ordentliche Kältewelle liegt gerade über Zürich. Doch auch sie reicht bei weitem nicht aus, um den Zürichsee zufrieren zu lassen.

Glaubt man dem Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, so bräuchte es nämlich richtig langanhaltende, eisige Temperaturen. Zum Beispiel während drei Monaten Tagesmitteltemperaturen von mindestens -4 Grad Celsius. Wichtig sind ausserdem die Temperaturen im vorangehenden Spätsommer, begünstigender Niederschlag wie Schnee und kalte Luftströmungen.

Extreme Wetterbedingungen

Genau solche Bedingungen hätten zu der letzten Seegfrörni im Januar und Februar 1963 geführt. Zu dieser Zeit kam es zu einem aussergewöhnlichen Wetterphänomen: dem «Omega-Blocking». Ununterbrochen strömte polare Kaltluft nach Europa. Die tiefen Temperaturen verstärkten den Luftzug. Es kam zu einer «positiven Rückkopplung», welche die Temperaturen so lange sinken liessen, bis auch der Zürichsee komplett einfror.

Eindrücklich sind Einträge eines ehemaligen Seepolizisten aus diesem Jahr, welche auf der Website der Stadt nachzulesen sind. Dieser beschreibt die Tage vor Weihnachten des Jahres 1962 und die extremen Wetterbedingungen damals. «Ein grosser Temperatursturz erfolgte vom 22. auf den 23. Dezember 1962 mit klirrend kalten und klaren Nächten und man sah das Eis buchstäblich wachsen. (...) Am 24. Januar 1963 war der See von Schmerikon am Obersee bis Zürich durchgehend zugefroren, ebenso alle Weiher und Kleinseen. Sogar der Bodensee und einzelne Flüsse wiesen eine Eisdecke auf. Nicht nur die Menschen, nein auch die Fische und die vielen Wasservögel verstanden die Welt nicht mehr!», heisst es im Bericht.

Verständlicherweise stellte das Eis auf dem See auch die Behörden, die Schifffahrtsgesellschaften, die Polizei, die Feuerwehren und die Rettungsdienste vor enorme Herausforderungen. So stand für die Seepolizei plötzlich ein «Gummiboot auf Alukufen bereit, bestückt mit Rettungswesten, Eisbohrer und Eisschichtmessgerät. (...) Rettungsweidlinge wurden auf Kufen montiert, Sirenen mit Batterieanschluss in tragbare Kisten montiert. Die Sturmwarnanlage wurde überprüft und für allfällige Alarmmeldungen vorbereitet.» Jeden Morgen und jeden Abend seien Messungen der Eisdicke durchgeführt worden. «Dauernd waren wir im Einsatz um angefrorene Wasservögel zu befreien. Dafür hatten wir immer warmes Wasser in Militärkanister bereitgestellt», schreibt der Seepolizist von damals.

100'000 Besucher auf dem Eis 

Noch war es für Bewohner nicht erlaubt, den See zu betreten. Viel zu dünn und brüchig war das Eis an manchen Stellen. Dies sollte sich jedoch ändern. Am 1. Februar, 1963, um 12.00 Uhr wurde der zugefrorene See dann endlich für die Stadt geöffnet. An allen Messorten betrug die Eisdicke deutlich über zehn Zentimeter. Genug, damit ganze Menschenmassen auf dem See Schlittschuh laufen, spazieren, tanzen und feiern konnten.

«Das Volk strömte buchstäblich von überall her aufs Eis. Die Spannung stieg, obwohl wirklich alles für eine allfällige Rettung bei uns und bei der Sanität bereitgestellt war, als der See immer dunkler wurde und das weisse Eis immer mehr verschwand. Es war der eindrücklichste Tag in meinen 38 Dienstjahren. Circa 100'000 Besucher wurden geschätzt», heisst es in dem Bericht weiter. Nach mehreren Wochen – währenddessen die Eisschicht mancherorts fast 30 cm dick war – wurde es langsam etwas wärmer. «Bis Ende März löste sich dann die Seegfrörni zu unserer grössten Zufriedenheit still und leise in nichts auf. Dankbar und erleichtert durften wir unsere Motorschlitten wieder gegen Rettungsboote tauschen und unsere Schlittschuhe abgeben.»

In den letzten 750 Jahren soll es insgesamt 26 komplette «Seegfrörner» am Zürichsee gegeben haben. Dass es in den nächsten Jahren wieder einmal zu einem solchen Ereignis kommen wird, halten Wissenschaftler aufgrund der allgemeinen Erderwärmung zwar für weniger wahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen. Der Klimawandel berge extreme Wettersituationen. Durchaus möglich also, dass eine ungewohnte Kältefront in nächster Zeit noch einmal über das Züribiet fegt. Und den See erneut erstarren lässt.

veröffentlicht: 12. Dezember 2022 17:19
aktualisiert: 12. Dezember 2022 17:19
Quelle: ZüriToday

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