Zürich

Vom Kadaver zum Kosewort: Deshalb heisst der Kreis 4 auch «Chreis Cheib»

Zürcher Geschichte

Vom Kadaver zum Kosewort: Deshalb heisst der Kreis 4 auch «Chreis Cheib»

· Online seit 21.05.2023, 10:47 Uhr
Im Kreis 4, einem der beliebtesten Bezirke Zürichs, ist meist «cheibe» viel los. Doch nicht etwa deswegen wird das Stadtgebiet auch «Chreis Cheib» genannt. ZüriToday wollte es genau wissen und ging dem Alias auf die Spur.
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Im Zürichdeutschen Wörterbuch von Heinz Gallmann ist dem Begriff «Cheib» eine komplette Seite gewidmet. Auch der «Chreis Cheib» ist darin aufgelistet – und wird gleich drei Zürcher Stadtbezirken, den Kreisen 3 bis 5, zugeteilt. Doch woher kommt diese Bezeichnung für das Zürcher Aussersihl überhaupt?

Abfallstätte für tote Tiere

«Cheiben sind Tierkadaver oder allgemein Kadaver», sagt das Präsidialdepartement der Stadt Zürich auf Anfrage. Im Mittelalter wurden die Tierkadaver im Kreis 4 in Gruben entsorgt – also ausserhalb der alten Stadt, in einem Bezirk, der damals noch eine von Zürich unabhängige Gemeinde war.

Der Begriff «Cheiben-Acker» wurde laut dem Präsidialdepartement «auch als Name für den Richtplatz verwendet». Noch heute sei er ein in vielen Gemeinden vorhandener Flurname, wie etwa «Galgenbuck» oder «Galgenbühl». Der Zürcher Richtplatz, also der «Cheiben-Acker», befand sich demnach im Chreis Cheib. Und zwar genau dort, wo heute das Haus an der Badenerstrasse 123 steht.

«Cheib» im Zürichdeutschen Sprachwandel

Heute ist das Aussersihl mit den drei Quartieren «Hard», «Langstrasse» und «Werd» alles andere als ein Nebenschauplatz, auf dem Tierleichen entsorgt werden. Der Kreis 4 ist einer der beliebtesten Stadtbezirke Zürichs. Das Musical «Chreis Cheib», das im April 2023 im Dynamo Zürich spielte, widmete dem Ort eine ganze Produktion und katapultierte sein Publikum an die Langstrasse der 1970er Jahre.

Wer auch heute gerne um die Häuser der Langstrasse zieht, hat laut Zürichdeutschem Wörterbuch sicher auch mal «en Cheib», aka einen Rausch. Denn das Wort bedeutete ursprünglich nicht nur «Kadaver» oder «Aas», sondern wird auch heute noch negativ konnotiert oder als Fluchwort verwendet: «Du fuule Cheib» haben dir deine (Gross-)Eltern vielleicht auch schon zugerufen, als du dein Zimmer nicht aufräumen wolltest.

Auch als verstärkendes Adverb wird der Begriff oft verwendet. So entstand als Schelte zum Beispiel der Ausdruck «en cheibe Lappi» – ein «grosser Dummkopf». Als Verb kann das Wort auch benutzt werden: «Heb de Cheib, nöd dass de Cheib obenabe cheibet und alls Cheibs zämecheibet», was zu Schriftdeutsch so viel heisst wie «Halte den Jungen fest, damit er nicht runterfällt und alles Mögliche zusammenstürzt.»

Mit der Zeit erlebte der Begriff aber auch eine sprachliche Aufwertung. Laut Wörterbuch wird «Cheib» mittlerweile abgeschwächt sogar als Kosewort benutzt. «Es gschiids, tifigs Cheibli» wird beispielsweise als Lob verstanden. Vom Tierkadaver bis zum Kosewort: Die Aufwertung haben die Sprache und der heutige Chreis Cheib definitiv gemeinsam.

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veröffentlicht: 21. Mai 2023 10:47
aktualisiert: 21. Mai 2023 10:47
Quelle: ZüriToday

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