Zürich

Verschollen – wenn die Suche eingestellt wird

Langzeitvermisste

Verschollen – wenn die Suche eingestellt wird

· Online seit 28.02.2023, 08:28 Uhr
Dass jemand vermisst und gesucht wird, passiert immer wieder. Oft gehen die Fälle recht glimpflich aus – manchmal können Menschen allerdings nur noch tot geborgen werden. Doch was, wenn jemand jahrelang verschwunden bleibt? Der Rechtsanwalt André Kuhn klärt auf.
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Aktuell sind im Kanton Zürich 12 Personen, acht Männer und vier Frauen, offiziell als vermisst gemeldet. Die Kantonspolizei Zürich listet sie auf ihrer Webseite auf. Nach der damals 36-jährigen Heidi Kerber etwa wird dabei schon seit April 2004 gesucht – seit bald zwei Jahrzehnten also. Das heisst: Rein theoretisch könnte sie auf Gesuch von Angehörigen bereits als «verschollen» deklariert werden.

Der Artikel 38 im Zivilgesetzbuch der Schweiz (ZGB) nämlich sieht unter anderem vor, dass Personen, die seit längerer Zeit verschwunden sind, für verschollen erklärt werden können. Der Rechtsanwalt André Kuhn führt gegenüber ArgoviaToday aus: «Zwingende Voraussetzung für eine Verschollenerklärung ist, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die betreffende Person tot ist.» Gemäss der genannten Bestimmung gebe es demnach zwei Szenarien, welche zur Annahme des höchst wahrscheinlichen Todes berechtigen:

  • Die Person ist in hoher Todesgefahr verschwunden. Zunächst ist dabei an katastrophale Ereignisse wie beispielsweise ein Erdbeben, ein Bergsturz, ein Schiffbruch und dergleichen zu denken. Es genügt allerdings bereits, dass die betreffende Person sich in eine Lage begab, welche eine Todesgefahr in sich schliesst – also zum Beispiel die Schifffahrt oder die Bergtour an sich und ohne verschärfende Faktoren wie eine Lawine oder ein Sturm auf hoher See.
  • Die Person ist seit langem nachrichtlos abwesend, das heisst der Aufenthalt der Person ist unbekannt und es fehlen Kontakt sowie Informationen zur betreffenden Person.

Zeitlicher Rahmen ist gesetzlich klar geregelt

Ab wann eine Person für verschollen erklärt werden darf, ist im ZGB in Artikel 36 Absatz 1 festgehalten: «Das Gesuch kann nach Ablauf von mindestens einem Jahr seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder von fünf Jahren seit der letzten Nachricht angebracht werden», steht dort geschrieben.

Kuhn ergänzt: «Demnach hängt die Frist, nach welcher ein Gesuch um Verschollenenerklärung überhaupt erst gestellt werden kann, vom Grund der Annahme des Todes ab. Wird vom Tod der Person ausgegangen, weil diese in hoher Todesgefahr verschwunden ist, kann das Gesuch bereits ein Jahr seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr gestellt werden.»

Demgegenüber sei bei nachrichtloser Abwesenheit der betreffenden Person fünf Jahre zuzuwarten. Die Wartefrist ist bei nachrichtloser Abwesenheit länger, weil in diesem Zusammenhang der Tod naturgemäss weniger wahrscheinlich ist als beim Verschwinden in hoher Todesgefahr.

Im Falle von Heidi Kerber würde das bedeuten: Seit April 2009 könnten Angehörige eine Verschollenerklärung in die Wege leiten.

Sinn und Zweck eine Verschollenerklärung

Bis jemand als verschollen erklärt wird, müssen also einige Vorgaben erfüllt sein. Doch wozu dient so eine Verschollenerklärung überhaupt? Laut Gesetz ermöglicht sie in erster Linie, die verschollene Person juristisch für tot zu erklären.

In den Worten von Kuhn: «Grundsätzlich muss eine Person, die sich auf den Tod einer anderen Person beruft, den Beweis erbringen, dass die betreffende Person tatsächlich tot ist. Ist eine Person als verschollen erklärt, können andere Personen Rechte aus dem Tod dieser Person ableiten, ohne den Tod beweisen zu müssen.» Dies betreffe vor allem erbrechtliche Ansprüche, so Kuhn. «Mit der Verschollenerklärung wird vom Tod der betreffenden Person ausgegangen und der Erbgang kann eröffnet werden.»

Bis das der Tod – oder die Verschollenerklärung – uns scheidet

Im Hinblick auf die Auflösung der Ehe sei der Zweck der Verschollenerklärung insbesondere, dass eine neue Ehe geschlossen werden könne, ohne die Ehe zur verschollenen Person gerichtlich auflösen lassen zu müssen. Nicht zuletzt sei eine Verschollenerklärung auch für die Familie rechtlich relevant, weil durch sie Ansprüche auf Witwen- und Waisenrenten geltend gemacht werden können.

Wer als verschollen gilt, ist rechtlich gesehen also quasi tot. Demnach kann er oder sie weder Inhaberin von Rechten noch von Pflichten sein. Doch was, wenn die Person nach Jahren plötzlich wieder auftaucht? Dann werde die Verschollenerklärung wieder aufgehoben, so Kuhn weiter.

Übrigens: Nach der damals 43-jährigen Mei Han Forster wird seit dem 6. September 2011 gesucht. Eine Vermisstenanzeige wurde Mitte September 2011 bei der Kantonspolizei Zürich erstattet, die chinesische Staatsbürgerin war in Hochfelden wohnhaft. Für Hinweise, die zu ihrer Entdeckung führen, hat die Kantonspolizei eine Belohnung von bis zu 5000 Franken ausgesetzt. Weitere 5000 Franken würde das familiäre Umfeld von Forster zahlen.

veröffentlicht: 28. Februar 2023 08:28
aktualisiert: 28. Februar 2023 08:28
Quelle: ZüriToday

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