Zürcher Orte gestern und heute

Die Tonhalle – Pariser Opulenz muss Zürcher Sachlichkeit weichen

03.08.2022, 07:57 Uhr
· Online seit 02.08.2022, 06:15 Uhr
Der Weg vom Bürkliplatz zur Rentenwiese mit See, Tonhalle und Kongresshaus ist eine der beliebtesten Flaniermeilen Zürichs. Den wenigsten Besucherinnen und Besucher der Uferpromenade ist aber bewusst, dass sich vor 100 Jahren hier ein völlig anderes Bild bot. Doch der Reihe nach.
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Unsere Geschichte beginnt ennet der Limmat, auf dem Sechseläutenplatz, der damals aber noch nicht diesen Namen trägt. Hier wird 1868 aus Anlass des Eidgenössischen Musikfests die erste, die «alte» Tonhalle, eröffnet. Das Haus bietet Platz für bis zu 1400 Personen und einen idyllischen Palmengarten, wo sich das Publikum vor und nach den Konzerten vergnügen kann.

Inspiration aus Paris für die neue Tonhalle

Die Tonhalle erfreut sich in der Zürcher Musikszene rasch grosser Beliebtheit, doch ihre Akustik lässt zu wünschen übrig. Kein Wunder, der Tonhalle-Konzertsaal ist die ehemalige Lagerhalle des Kornhauses am See, das zum Konzerthaus umgebaut worden war.

Eine neue Tonhalle muss her. Platz dafür findet sich jenseits der Quaibrücke im frisch eingemeindeten Quartier Enge, das seit 1893 zur Stadt Zürich gehört. Die alte Tonhalle muss derweil dem heutigen Sechseläutenplatz weichen.

Am Alpenquai, dem heutigen General-Guisan-Quai, wird ein neues Konzerthaus errichtet. Die Architekten des Bauwerks lassen sich dabei vom Palais du Trocadéro inspirieren. Dieser Palast wurde für die Weltausstellung 1878 in Paris gebaut.

Mit zwei Konzertsälen (sie umfassen heute 1430 und 609 Plätze), einem Rundbau als Pavillon für Promenadenkonzerte sowie einem Restaurant feiert die «neue» Tonhalle 1895 ihre Einweihung.

Die Türme müssen weg, die Säle dürfen bleiben

Die Zeit Pariser Opulenz am Zürichsee dauert nicht lange. 1939 findet in Zürich die Schweizerische Landesausstellung statt. Die Stadt nimmt dies zum Anlass, den markanten Vorbau der Tonhalle mit Pavillon und Trocadéro-Türmen kurzerhand abzureissen. Immerhin bleiben die beiden Konzertsäle der Tonhalle erhalten – bis heute.

An Stelle des Vorbaus entsteht von 1937 bis 1939 das Kongresshaus Zürich. Seine schlichte Sachlichkeit im Stil des «Neuen Bauens» widerspiegelt nicht nur die tiefgreifenden Veränderungen in der Architektur zwischen der «Belle Époque» und den 30er-Jahren, sie ist auch ein Ausdruck der Stimmungslage nach der Weltwirtschaftskrise und kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Mehr als eine Randbemerkung ist dabei, dass das Vorbild der neuen Tonhalle zur selben Zeit das gleiche Schicksal erfährt. Das Hauptgebäude des Palais du Trocadéro wird für die Pariser Weltfachausstellung 1937 bis auf seine Seitenflügel abgetragen und nicht mehr ersetzt.

Zweites Leben für die Tonhalle

83 Jahre später gibt es Kongresshaus und Tonhalle in Zürich immer noch – frisch renoviert, auch wenn immer wieder mal darüber gestritten wird. Der grosse Saal mit seiner berühmten Akustik zählt heute zu den besten Konzertsälen der Welt.

Was weniger bekannt ist: Auch ein Stück der alten Tonhalle überdauerte die Zeit. Die Baufirma Kibag transportierte nach dem Abbruch 1897 Teile davon auf die Insel Bächau zwischen Richterswil und Pfäffikon SZ – und baute sie dort wieder auf. Erst im vergangenen Jahr wurde dieses Stück Zürcher Musikgeschichte nach über 150 Jahren endgültig abgebrochen.

(osc)

veröffentlicht: 2. August 2022 06:15
aktualisiert: 3. August 2022 07:57
Quelle: ZüriToday

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