Quelle: TeleZüri
Herr von Matt, wieso wollen Sie die Böller am Sechseläuten verbieten?
Im Gegensatz zu einem Lichtfeuerwerk macht ein Böllerfeuerwerk absolut keinen Sinn. Wir sollten uns nichts vormachen: Ein Böller besteht aus Sprengstoff. Er hat das Potenzial, einem Menschen irreversible Verletzungen zuzufügen. Beim Grillfest nach dem Sechseläuten 2015 explodierte ein Böller, der bei der Böögg-Verbrennung noch nicht losgegangen war. Acht Personen wurden verletzt, darunter ein 11-jähriger Knabe. Bei fünf Personen bestand der Verdacht auf Gehörschädigung.
Das war vor sieben Jahren. Seither ist es zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen.
Anzahl und Lautstärke der Böller am Sechseläuten sind dennoch eine Zumutung für die Bevölkerung, insbesondere für Familien mit Kindern. Als ich meinen Sohn damals im Kindesalter auf den Schultern trug, um dem Böögg beizuwohnen, beklagte er sich nachher noch stundenlang über ein schmerzhaftes Ohrensausen.
Die Böller stören Sie also schon länger...
Genau. Ich habe schon 2018 beim Stadtrat nachgefragt, ob die Sprengkraft der Böller begrenzt sei. Der Stadtrat antwortete, dass Knallkörper der Kategorie P2 eingesetzt würden. Eine Videosequenz mit dem Bööggbauer von 2021 zeigt in seiner Hand einen Böller mit einer möglicherweise weit höheren Sprengkraft. Falls beim Sechseläuten auch Böller gezündet werden, die europaweit als illegal gelten, hätte der Stadtrat einen Erklärungsnotstand.
Sie hatten in Ihrem Schreiben an den Stadtrat auch den Krieg in der Ukraine erwähnt. Können Sie erläutern?
Vor dem Hintergrund des Angriffskriegs in der Ukraine wirkt der Anlass besonders verstörend: Bei uns gibt es hundertfünfzig Detonationen zur Volksbelustigung, während anderswo in Europa todbringende Bomben niedergehen.
Des Weiteren schrieben Sie, der Böller würde ein falsches politisches Zeichen setzen. Inwiefern?
Pyros und Böller im Umfeld von Demos und Fussballspielen sind seit Jahrzehnten ein ungelöstes Problem. Im Jahr 2018 wurde in einem Bahnhof im Kanton Bern sogar ein Kleinkind durch einen Böller von Hooligans verletzt, und gerade erst wurden Pyros im Letzigrund in einen Familiensektor geworfen. Wenn der Staat gleichzeitig an einem Volksfest ein Böllerfeuerwerk veranstaltet, setzt er das falsche Zeichen. Denn dadurch wird vermittelt, es gebe gute und böse Böller. Die Behörden müssten vielmehr auf ein klares Ziel hinarbeiten: Wir wollen eine böllerfreie Stadt. Und wir sind auch bereit dazu, bei volkstümlichen Anlässen auf Knallpetarden zu verzichten.
Aber das Sechseläuten hat doch eine jahrhundertelange Tradition...
Beim Sechseläuten wurden zwei Elemente verschmolzen: Einerseits der über tausendjährige Brauch der Winterverbrennung, der auf die Zeit der alemannischen Landnahme zurückgeht. Und andererseits der militaristische Brauch der Salutschüsse aus der Zeit von Ende des 19. Jahrhundert. Seitdem wird der Böögg mit Böllern vollgestopft.
Was wollen Sie damit sagen?
Die beiden Elemente könnten jederzeit wieder entflochten werden. Das Sechseläuten könnte zurückfinden zur reinen Tradition der Winteraustreibung. Auch das uralte Ritual der Höhenfeuer braucht keine Knallpetarden. Persönlich empfinde ich das gleichzeitige Verbrennen und Sprengen des Bööggs als einen befremdlichen Overkill.
Ein Overkill, der dennoch vielen Zürcherinnen und Zürchern Freude bereitet, nicht?
In einem Internetforum für Pyro-Fans wird diskutiert: «Wo werden F4-Böller verwendet?» Ein Nutzer fragt, wo diese «extrem lauten Teile legal gezündet» würden. Ein anderer Nutzer verweist ihn auf das Sechseläuten, bei dem «ein mit Knallkörpern gefüllter Schneemann als Verabschiedung des Winters dran glauben muss». Dies muss uns zu denken geben: Zürich mit dem Sechseläuten als Pilgerstätte für Böllernerds? Ich finde, wir sollten den Tabubruch wagen und uns von diesem sinnlosen Lärmkult verabschieden.