Grosser Fachkräftemangel

Pflegeberuf muss attraktiver werden – Verband fordert Sofort-Massnahmen

· Online seit 10.08.2022, 07:15 Uhr
Obwohl die Pflegeinitiative letzten November angenommen wurde, dauert deren Umsetzung zu lange, glaubt der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer (SBK). Er fordert nun konkrete Massnahmen –ansonsten drohe im Winter das grosse Chaos.

Quelle: TeleZüri / Beitrag vom 9. August 2022

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Am 28. November 2021 hat das Schweizer Stimmvolk deutlich Ja gesagt zur Pflegeinitiative. Der Bundesrat steht nun in der Pflicht, den durch die Coronapandemie verstärkten Fachkräftemangel sowie andere Missstände im Gesundheitswesen zu beheben. Oberstes Ziel dabei: gute Arbeitsbedingungen zu schaffen – dadurch soll der Pflegeberuf schweizweit wieder attraktiv(er) werden.

An seiner Sitzung vom 12. Januar 2022 hatte die Landesregierung entschieden, die Initiative in zwei Etappen umzusetzen: Investitionen in die Ausbildung sowie die direkte Abrechnung von Leistungen durch Pflegende sollen schon bald und ohne erneute Vernehmlassung geschehen. Die Umsetzung von besseren Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Entlöhnung würden hingegen länger dauern.

Einzelne Betriebe können viel entscheiden

Aus Sicht des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und -männer (SBK), der die Volksabstimmung initiiert hatte, ist das Vorhaben in Bundesbern aber nicht schnell genug: Aus diesem Grund hat die SBK-Sektion der Kantone Zürich, Glarus und Schaffhausen am Dienstag ein Positionspapier mit konkreten Vorschlägen und Forderungen veröffentlicht. Diese sollen zumindest in diesen drei Kantonen umgesetzt werden – und zwar sofort.

Auf Anfrage erklärt der Geschäftsführer der Sektion, Kuno Betschart, dass man dadurch bereits viel bewirken könne, ohne auf den Bund warten zu müssen: «Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen zwar schon in Bern beschlossen werden. Aber grundsätzlich ist das Gesundheitswesen kantonal organisiert. Und die einzelnen Betriebe haben ebenfalls viel Entscheidungsfreiheit.»

Es müssen langfristige Lösungen her

Ein Spital kann also für sich selbst regeln, wie zum Beispiel der Schichtbetrieb genau vonstattengehen soll. «Hier setzt unser Positionspapier an», so Betschart. «Das Pflegepersonal in den drei Kantonen soll höhere Zulagen für Schichtarbeit erhalten, die Planungssicherheit soll zudem gefestigt werden.» Andere Lösungen sehen effizientere Arbeitsmodelle oder die Vertretung der Basis in den Geschäftsleitungen vor. Und bei Personalausfällen sollen die Bettenkapazitäten sinken.

Weitere geforderte Massnahmen lauten wie folgt:

  • Bei ungeplanten Einsätzen sollen die Zeitgutschriften verdoppelt werden.
  • Nachtdienste für Mitarbeitende über 60 Jahre sollen freiwillig werden.
  • Neue, flexible Arbeitszeitmodelle, bei denen Angestellte mitgestalten können, sind zu fördern.
  • Die Betriebe sollen eine angemessene Pflege-Patient-Ratio gemäss internationalen Guidelines sicherstellen.
  • Wiedereinsteigerkurse, Fort- und Weiterbildungen sollen erhöht, durch die Kantone und Gemeinden subventioniert und für die Teilnehmenden kostenlos werden.
  • Ausbildungslöhne sollen generell, aber insbesondere für den Quereinstieg attraktiver werden. 
  • Die Löhne der Berufseinsteigenden sollen insgesamt angehoben und der Berufseinstieg auch dadurch attraktiver gemacht werden.
  • Dialoggremien, Arbeitsgruppen und Fachgremien mit Mitarbeitenden der Basis sollen einberufen werden.

Tue sich weiterhin nichts oder nicht genug, drohe die Situation in den Spitälern, Heimen und Spitex-Organisationen in naher Zukunft vollkommen ausser Kontrolle zu geraten, glaubt der SBK – gemeint ist auch eine mögliche weitere Corona-Welle im Winter. «Das wäre natürlich eine ausserordentliche Notsituation», so Betschart. «Uns liegt aber am Herzen, langfristige Lösungen zu finden, die über Corona hinausgehen.»

Stichwort Notsituationen: Laut Lösungsvorschlag des SBK dürfen Dienstpläne von Angestellten durch Vorgesetzte nur in solchen verändert werden. Ansonsten sind die Pläne immer als verbindlich zu betrachten. Dass Vorgesetzte jetzt, in einer laut Betschart «normalen Lage», den Begriff «Notsituation» als Ausrede vorschieben, um mehr Flexibilität vonseiten des Personals einfordern zu können, will Betschart ihnen nicht vorwerfen. «Vereinzelt kann es aber sicher vorkommen.»

«Es muss sich was tun»

Deshalb wollen er und der SBK auch sicherstellen, dass Angestellte bei gleichem Lohn weniger arbeiten und nicht kurzfristig für jemanden einspringen müssen – auch wenn das wegen der fehlenden Fachkräfte zunächst widersprüchlich tönt, wie er selbst anmerkt. «In der Praxis ist die Umsetzung sicher nicht so einfach, wie sie in der Theorie tönt. Personalmangel lässt sich – zumindest kurzfristig – nicht durch kürzere Arbeitsschichten lösen, das ist uns bewusst.»

Und doch: «Einfach so weitergehen darf es auch nicht», sagt Betschart. Könne man grundsätzlich mehr Leute für den Beruf begeistern, werde auch der Fachkräftemangel zurückgehen. «Wie gesagt: Wir müssen jetzt handeln und langfristige Lösungen finden.» Zu viele Fachkräfte würden aussteigen und nicht mehr zurückkommen, der Quereinstieg werde finanziell nicht genügend attraktiv gemacht, schildert der SBK-Geschäftsführer. «Deshalb lassen wir nicht locker.»

veröffentlicht: 10. August 2022 07:15
aktualisiert: 10. August 2022 07:15
Quelle: ZüriToday

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