Wegen Personalnot

Kita in Meilen schenkt Angestellten halben Erholungstag

09.10.2023, 10:22 Uhr
· Online seit 09.10.2023, 10:22 Uhr
Stell dir vor, dein Chef zahlt dir einen Vollzeitlohn und du darfst dir jeweils einen halben Tag pro Woche freinehmen. In einer Zürcher Kita ist dies das neue Beschäftigungsmodell. So will der Geschäftsführer dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
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Eine Kita mitten in der Natur in Meilen, fernab vom stressigen Zürcher-Innenstadt-Gewusel, hat für ihre Betreuerinnen Traumbedingungen geschaffen. «Mehr Erholung – bei gleichem Lohn» steht im Stellenbeschrieb auf der Webseite der Tagesstätte. Dazu werden Privilegien aufgezählt, die äusserst verlockend sind – von Weiterbildungsmöglichkeiten über Selbständigkeit bis hin zum 13. Monatslohn.

Guido Weber, 67, Gründer und Geschäftsführer der Kita Kindertraum-Haus, wollte Lösungen für Probleme, die in jeder Kita bekannt sind: Immer wieder melden sich Betreuerinnen krank, weil sie offenbar an ihre Belastungsgrenzen kommen und die Erholungszeit fehlt. Und es herrscht allgemeiner Personalmangel durch Abwanderung in andere Berufe mit weniger Stress.

«Junge Menschen bürden sich eine grosse Finanzlast auf»

«Die jungen Menschen möchten eigentlich nur 80 Prozent arbeiten, weil 100 einfach sehr anstrengend sind in der Kinderbetreuung. Nun haben sie aber ein riesiges Finanzbudget zu bewältigen, das monatlich bezahlt sein will.»

Dazu gehören laut Weber ein Leasingauto, oft eine überteuerte Wohnung und Ferien- und Freizeitaktivitäten, die auch noch ins Geld gehen. Die Stellensuchenden seien also quasi gezwungen, einen Vollzeitjob anzunehmen, um durchzukommen.

Arbeitsmodell gegen Fachkräftemangel

«Wir müssen die Realitäten unserer Mitarbeitenden akzeptieren und innovative Lösungen anbieten», sagt Weber. Er habe mit den Mitarbeitenden gesprochen und sei dann zu diesem Modell gekommen, das allen diene. «Entspannte, zufriedene Mitarbeiterinnen betreuen die Kinder besser, und das ist entscheidend.» Auch die Zusammenarbeit im Team profitiere, wenn weniger Stress herrsche. 

«Unser Beschäftigungsmodell geht so, dass alle ausgebildeten Fachkräfte einen halben Tag pro Woche Erholungszeit geschenkt bekommen. Den können sie direkt einlösen oder alle zwei Wochen einen ganzen Tag lang freinehmen», sagt Weber. Wichtig sei, dass die Erholung regelmässig sei und nicht einfach die Ferien verlängert werden. 

Vier zusätzliche Arbeitskräfte füllen die Lücken

Und wie finanziert die private Krippe die Ausfälle an Betreuerinnen, wenn diese in Erholungszeit sind? «Wir brauchen insgesamt vier zusätzliche Arbeitskräfte zum Ausgleich, finanziert durch Einsparungen dank schlankeren Strukturen und weniger Personalwechsel», erklärt Guido Weber. «Bis Ende Jahr sollte die Lücke gefüllt sein. Das Projekt läuft seit Anfang September.» Ob sich nun viel weniger Betreuerinnen krankmelden, werde sich zeigen.

Das Feedback der Angestellten sei durchaus positiv. «Sie geniessen die Wertschätzung, die wir ihnen dadurch entgegenbringen.» Auch für die Eltern sei es besser, wenn wegen Krankheitsfällen nicht ständig Ersatz-Betreuer für die Kids im Einsatz sind. «Es kommt mehr Ruhe und Kontinuität in den Alltag», sagt Weber.

«Keine Kostenexplosion der Kita-Preise»

Lisa R.* aus Meilen bringt ihre Tochter seit kurzem in die Kita: «Mein Baby ist erst neun Monate alt und seit drei Monaten in der Kita. Sie geht sehr gern dorthin und ist immer happy, soviel ist sicher. Mein Freund bringt sie meistens, darum kann ich momentan nicht viel sagen zu internen Veränderungen.» Die Angestellten waren bisher immer freundlich, sagt R.

Sie finde es sehr cool, dass diese Knochenarbeit so wertgeschätzt wird, und man die Betreuerinnen dadurch entlaste. «Ich denke, dass man diese Erholung gut gebrauchen kann, vor allem, wenn man, wie jetzt im Herbst und Winter, immer mit kränkelnden Kindern zu tun hat», so die 30-jährige R.

Gibt es wegen des neuen Betreuungsmodells jetzt eine Kostenexplosion? Guido Weber verneint. «Unsere Preise sind von Anbeginn praktisch gleichauf wie die der öffentlichen Kitas in Meilen. Ich wollte immer eine bezahlbare und keine exklusive Krippe.» Das Lohnniveau sei trotzdem gut; hier wäre sowieso am falschen Ort gespart.

Krippen-Übernahme aus der Not heraus

Heute hat das Kindertraum-Haus an zwei Standorten 62 Angestellte, inklusive der Lernenden und Aushilfen. «Mit dem neuen Modell unternehmen wir einen innovativen Schritt zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.» Das Kindertraum-Haus ist immer schon mit zukunftsweisenden Angeboten aufgefallen, etwa mit längeren Öffnungszeiten, eigener App und Shuttle-Bus zum Bahnhof. 

Weber ist im Kitageschäft ein Quereinsteiger, der jahrzehntelang erfolgreiche politische Abstimmungskampagnen geführt hat. Kommt davon dieser Pioniergeist? «Vielleicht ja, jedenfalls ist es eine schöne und positive Tätigkeit. Als ich die vormalige kleine Kita übernahm, war das eher aus der Not heraus», so der Geschäftsführer, der das Kindertraum-Haus 2006 gegründet hat.

Erst wollte er nur helfen, weil seine Tochter gleicher Orts in der Kita einen Lehrvertrag bekommen hatte - und der Betrieb kurz darauf geschlossen wurde. Seine Tochter, die heute auch Geschäftsleiterin und Mitinhaberin ist, hat selber drei Kinder, die allesamt im Kindertraum-Haus waren.

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*Name der Redaktion bekannt

veröffentlicht: 9. Oktober 2023 10:22
aktualisiert: 9. Oktober 2023 10:22
Quelle: ZüriToday

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