Klimatag 2022

«Es ist eine Sanduhr – wenn die fertig ist, ist fertig»

· Online seit 30.09.2022, 06:11 Uhr
Am Freitag und Samstag dreht sich in der Schweiz alles ums Klima. Auch in Zürich finden zu Ehren des Klimatages diverse Workshops, Filmabende und Führungen statt. Botschafterin Melanie Winiger und «Wir sind Klima»-Leiterin Birgit Pestalozzi finden, dass mit wenig Änderung, viel verbessert werden könnte.
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Die Schweizer Klimatage werden vom Verein «Wir sind Klima» organisiert. Am 30. September und 1. Oktober soll die Bevölkerung erneut auf das Thema sensibilisiert werden. Melanie Winiger setzt sich schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit und Klima auseinander. Als Botschafterin vom Klimatag war sie und Birgit Pestalozzi, die Geschäftsführerin vom Verein «Wir sind Klima», bei Radio 24 zum Interview.

Melanie, warum bist du Botschafterin des Klimatags?

Ich setzte mich gegen Global Warming, fürs Klima und die Nachhaltigkeit schon länger ein. Ich fand es eine gute Idee, das wieder zu thematisieren, denn dank «Corona» sind all die Themen in Vergessenheit geraten. Es ist wichtig den Leuten zu sagen, dass das Problem immer noch da ist und man es nach wie vor ernst nehmen muss.

Wie wichtig ist Klima bei dir im Umfeld?

Melanie: Ich glaube man zieht im Leben meistens Leute an, die ähnlich gestrickt sind, wie man selbst. Mein Umfeld ist sehr grün, umweltbewusst und nachhaltig. Dennoch bin ich sehr schockiert, wie viele Leute nicht informiert sind und noch viel mehr, denen es egal ist. Wenn ich etwas mache, kann es auf mein Umfeld überschwappen und somit auch aufs Klima – was übrigens alles ist, was wir haben. Wenn das Klima zusammenbricht, dann haben wir nichts mehr – auch uns nicht mehr. Es ist also auch interessant für Egoisten.

Hältst du dich für ein Vorbild, Melanie?

Melanie: Ich weiss nicht, ob ich ein Vorbild bin, aber ich setze mich schon lange mit den Themen auseinander. Mein ausschlaggebender Punkt war mein Sohn. Einen gewissen Egoismus hatte ich auch à la «tangiert mich ja nicht mehr, wenn alles bergab geht». Aber dann änderte sich das in «Wenn es mich nicht mehr gibt, gibt es ihn aber noch». Ein Mensch, den ich mehr liebe als mich selbst, der dann in dem weiter leben muss, was ich verursacht habe.

Warum findest du den Klimatag wichtig?

Melanie: Ich denke, dass man durch den Anlass den Menschen rüberbringen und zeigen kann, wie schnell und einfach man im Alltag etwas ändern kann. Wie zum Beispiel recyclen.

Warum erreicht man so viele Leute nicht bei so einem wichtigen Thema?

Birgit: Es ist so existentiell, dass es viele überwältigt. Es ist oft die einfachste Bewältigungsstrategie, gar nichts mehr zu tun und sich nicht mehr darum zu kümmern. Sie ignorieren es, sind aber auch voller Angst. Dabei muss nicht jede Lösung perfekt sein, wichtig ist, dass man einfach mal beginnt, etwas dagegen zu tun.

Was lernt man am Klimatag?

Birgit: 53 Prozent der Menschen würden gerne etwas machen, aber wissen nicht wie. Die Klimatage sind eine gute Möglichkeit, um auf einfache Art und Weise zu erfahren, wie man etwas bewirken kann. Es gibt so viele coole Dinge schweizweit auf dem Programm, die vor allem KMUs anbieten. Von Workshops, wo man lernt, wie man Kleider aufpimpen kann, bis hin zu Stadtführungen.

Wo sind wir bezüglich Klima schon gut unterwegs und wo können wir uns verbessern?

Melanie: Im Vergleich mit anderen Ländern sind wir im Recycling schon recht gut. Die Städte sind gut organisiert und den Menschen wird es einfach gemacht.

Birgit: Der Klimaschutz ist neu in der Verfassung verankert, damit ist ein Zeichen gesetzt worden. Zudem wollen wir unbedingt Schulen mit an Bord nehmen, um bereits Kinder darauf zu sensibilisieren. Es soll zum «new normal» werden.

Melanie: Ich habe auch schon mit meinem Sohn (20) gesprochen. Es gibt so viele Themen in der Schule, aber es ist ein riesen Fragezeichen, warum wir im Bereich «Menschliches» noch nicht viel haben. Zum Beispiel Empathie oder eben Klima anstatt Mathematik. Da könnte man sich von den Schwedinnen und Schweden eine Scheibe abschneiden. In der Schweiz sind wir eine IQ-Gesellschaft und man sollte EQ (emotionaler Quotient) steigern, dann hätten wir wahrscheinlich auch im Thema Klima weniger Probleme.

Stichwort «New normal» – ist es schon soweit oder solls werden?

Birgit: Es ist noch gar nicht «the new normal», eher «the new hype». Es muss sich jetzt so verankern, dass man dabei nicht mehr denken muss. Dass man es einfach automatisch macht. Dass man einen inneren Radar eingebaut hat, dass es einem fast körperlich weh tut, wenn man zum Beispiel eine Verpackung nur einmal braucht.

Melanie: Eine Lösung wäre, dass man die Erde nicht als Selbstverständlichkeit ansieht. Der Planet ist einfach da. Er gibt uns Wasser, Luft, gibt, gibt, gibt und wir nehmen, nehmen, nehmen. Wir dürfen nicht an den Punkt kommen, wo wir realisieren, dass der Planet kaputt ist.

Ist es hierfür noch nicht zu spät?

Birgit: Nein noch nicht. In der Schweiz vor allem, denn wir können einfach aus dem Fluss trinken oder aus dem Wasserhahn. Wir haben gute Luft und brauchen keine Klimaanlage, aber wenn es wegen der Klimaerwärmung wärmer wird, wird das nicht mehr so sein und das muss uns bewusst werden.

Melanie: Es ist Realität, dass die Uhr tickt und die meisten checken nicht, dass es sich um eine Sanduhr handelt. Wen die fertig ist, ist sie fertig und somit für uns selbst auch. Das kann Angst machen, aber dadurch will man vielleicht auch mal was ändern.

Was tust du im Alltag für die Erde?

Birgit: Zum Beispiel keine Plastikbecher mehr nutzen. Es ist kein Coffee-to-go mehr, sondern ich nehme mir die Zeit und eine richtige Tasse für meinen Kaffee.

Melanie: Bewusst leben. Bewusst konsumieren. Wann ich esse, was ich esse, wie ich esse oder was ziehe ich an. Dabei muss ich nicht auf alles verzichten, aber alles was ich mache, will ich bewusst entscheiden und die Erde nicht als selbstverständlich sehen, sondern sie behandeln wie meine beste Freundin.

(joe)

veröffentlicht: 30. September 2022 06:11
aktualisiert: 30. September 2022 06:11
Quelle: ZüriToday

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