Polit-Gipfel

G20 findet Kompromiss im Russland-Streit und gibt Signal an Afrika

09.09.2023, 16:40 Uhr
· Online seit 09.09.2023, 15:51 Uhr
Der G20-Gipfel hat sich in Indien trotz grosser Meinungsunterschiede zum russischen Krieg in der Ukraine auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt. In der Passage zum Ukraine-Krieg wird sowohl auf Forderungen Russlands als auch des Westens eingegangen.
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Diplomaten werteten die Formulierungen als kleinsten gemeinsamen Nenner. Indiens Premierminister Narendra Modi habe so ein Scheitern des Gipfels der führenden Industrie- und Schwellenländer verhindert.

Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Passagen zum Krieg einen Erfolg. Er würdigte am Samstag an in Neu Delhi, dass darin die «territoriale Integrität» aller Länder betont werde. Er hob hervor, «dass am Ende Russland seinen Widerstand gegen einen solchen Beschluss aufgegeben hat, weil einfach alle anderen sich in diese Richtung bewegt hatten».

Russland nicht mehr explizit verurteilt

Anders als beim G20-Gipfel im Vorjahr wird der russische Angriffskrieg in dem Kompromiss nicht mehr ausdrücklich von einer Mehrheit der Länder verurteilt. Stattdessen wird nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen - und allgemein auf die territoriale Integrität, also die Unverletzlichkeit von Grenzen.

Russland lobte das Abschlussdokument, das ungewöhnlicherweise schon am ersten der beiden Gipfeltage verabschiedet wurde, als «ausgewogen». Moskau begrüsse das Ergebnis von Neu Delhi, sagte die russische Verhandlungsführerin Swetlana Lukasch und räumte ein, dass es zur Ukraine «sehr schwierige Verhandlungen» gegeben habe.

Da weder Chinas Staatschef Xi Jinping noch Russlands Präsident Wladimir Putin in Neu Delhi vertreten waren, musste Indien befürchten, dass das Treffen ohne greifbare Ergebnisse endet. Für Putin reiste Aussenminister Sergej Lawrow an. Xi liess sich von Ministerpräsident Li Qiang vertreten. Peking gilt als international wichtigster Partner Moskaus und hat den Angriff auf die Ukraine bisher nicht verurteilt.

Die Ukraine war nicht in Neu Delhi vertreten - Gastgeber Indien hatte das Thema eigentlich nicht so hoch hängen wollen. Anders als im Vorjahr beim Gipfel auf Bali bekam der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch keine Möglichkeit, per Video zu den Gipfelteilnehmern zu sprechen.

Getreidedeal: Entgegenkommen gegenüber Russland

Besonders wichtig dürfte für Moskau sein, dass auf russische Forderungen nach einer Lockerung der westlichen Sanktionen eingegangen wird. So heisst es, man rufe dazu auf, die «unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine» zu gewährleisten. Dies sei notwendig, um den Bedarf in Entwicklungsländern besonders in Afrika zu befriedigen. Eine Reaktion der Ukraine auf den Kompromiss gab es zunächst nicht.

Putin hatte unter Verweis auf die westlichen Sanktionen ein Abkommen für den Transport von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt.

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Zeichen an Afrika

Schon zu Beginn des Gipfels verkündete Modi eine Einigung zur Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) als Mitglied in die G20. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich dafür stark gemacht. Länder Afrikas leiden stark unter den Folgen der Klimakrise und des Kriegs in der Ukraine. Der indische Regierungschef versucht, sein Land als Anführer des globalen Südens zu profilieren. Die Aufnahme der AU gilt für ihn deshalb als wichtiger Erfolg.

Bisher war die Europäische Union (EU) mit ihren 27 Mitgliedstaaten die einzige Regionalorganisation in der G20-Runde. Der AU gehören alle international anerkannten afrikanischen Länder sowie das völkerrechtlich umstrittene Land Westsahara an. Insgesamt sind es 55 Staaten. Die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen. In der EU leben rund 450 Millionen Menschen.

Kritik von Klimaschützern

Die Passagen der Abschlusserklärung zum Klimaschutz werden von Experten als wenig ehrgeizig eingestuft. «Gegen die Klimakrise hat der G20-Gipfel zu wenig geliefert», sagte Jörn Kalinski von Oxfam in Deutschland. «Die Regierungen steuern uns weiter auf eine globale Katastrophe zu.» Auch Friederike Röder, Vize-Präsidentin der Nicht-Regierungsorganisation Global Citizen, übte Kritik: «Das ist eine schreckliche Botschaft an die Welt, besonders an die ärmsten und verletzlichsten Länder und deren Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden.»

Nicht aufgegriffen wird insbesondere die Forderung von Umweltorganisationen, die G20 sollten sich angesichts der eskalierenden Klimakrise klar zu einem zügigen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bekennen. Bekräftigt wird im Abschlussdokument zwar der Beschluss der G20 von vor 14 Jahren, mittelfristig «ineffiziente» Subventionen für diese klimaschädlichen fossilen Energieträger abzubauen. Doch steht dies in hartem Widerspruch zur Realität: 2022 haben sich diese Subventionen nach Zahlen der Internationalen Energie-Agentur gegenüber dem Vorjahr weltweit auf den Rekordwert von gut einer Billion Dollar verdoppelt.

Beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas werden klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt. Die G20 verantworten etwa 80 Prozent dieser Emissionen; den Löwenanteil haben China, die USA und die EU.

USA setzen sich bei G20-Gipfel 2026 durch

Ein anderer Konfliktpunkt in Neu Delhi war, ob der G20-Gipfel im Jahr 2026 in den USA oder anderswo ausgerichtet werden soll. Die USA setzten sich dabei nach Angaben von Diplomaten gegen China durch. Der Gipfel 2024 ist in Brasilien, der im Jahr 2025 in Südafrika.

Bundeskanzler mit Augenklappe beim Gipfel

Scholz trug nach seinem Jogging-Unfall auch beim Gipfel in Neu Delhi noch eine Augenklappe. Der Kanzler wird von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) begleitet. Der Gipfels unter dem Motto «One Earth, one Family, one Future» (Deutsch: «Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft») geht am Sonntag zu Ende.

(sda/red.)

veröffentlicht: 9. September 2023 15:51
aktualisiert: 9. September 2023 16:40
Quelle: FM1Today

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