Quelle: CH Media Video Unit / Schweres Erdbeben in der Türkei und Syrien / 6.2.23
Die Bilder aus der Türkei und Syrien erschüttern. Das starke Erdbeben am Montagmorgen und die über 200 Nachbeben seitdem haben Häuser im betroffenen Gebiet zerstört und über 5000 Leben beendet. Tausende Personen wurden verletzt. Die Erdbebenkatastrophe ist gross – eine der schlimmsten überhaupt. Anne Obermann, Seismologin beim Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich, ordnet die Katastrophe ein.
Frau Obermann, in der Türkei wurden Erdbeben bis zur Stärke von 7,8
gemessen. Was bedeutet diese Zahl?
Unter einem Beben von 7,8 muss man sich vorstellen, dass es in diesem Fall eine Verwerfung von 180 bis 200 Kilometern Länge gibt. Diese geht etwa
20 Meter in die Tiefe und die Erde bewegt sich wirklich 30 bis 40 Sekunden
entlang dieser Verwerfungszone.
Ab welcher Stärke ist ein Erdbeben für Menschen und Tiere
spürbar?
Das hängt davon ab, auf welchem Untergrund man sich
befindet und wie weit entfernt man vom Beben ist. Im Allgemeinen wird bereits Magnitude
2,5 in der Nähe des Epizentrums verspürt, vor allem, wenn es oberflächennah ist, die direkte Umgebung besiedelt ist und die Leute nicht schlafen. Wenn man direkt über dem Erdbeben ist, kann man auch kleinere Beben spüren.
Ab welcher Stärke wird es gefährlich?
Das hängt davon ab, wie gut die Bauweise der Gebäude ist. Erste Risse im Mauerwerk können ab einer Magnitude von 4,5 beobachtet werden, in seltenen Fällen treten solche bereits bei kleineren Magnituden in der direkten Umgebung auf. Wir sprechen ab Magnitude 5 im Allgemeinen von einem
Schadensbeben. Ab Magnitude 6 spricht man von einem folgenschweren Beben, was auch
in häufigen Fällen Todesopfer nach sich zieht. Magnitude 7 fällt in die
Kategorie eines katastrophalen Bebens. In diese Kategorie fällt das Beben in
der Türkei.
Was muss man machen, wenn man sich während
eines starken Erdbebens im Gebiet befindet?
Gebäude meiden und auf eine freie Fläche gehen. Durch die
starken Erdbeben und die vielen Nachbeben haben die Gebäude Schaden genommen, wenn
sie nicht schon zusammengebrochen sind. Man soll auf keinen Fall in ein beschädigtes Gebäude zurück gehen, solange dieses nicht von einem Experten überprüft wurde. Ist man während des Erdbebens in einem Gebäude, soll man
sich vor den herunterfallenden Sachen schützen. Zum Beispiel, indem man sich unter einen
Türrahmen stellt oder unter einen Tisch legt – möglichst von allem weg, was
auf einen runterfallen kann. Wenn alle Stockwerke zusammenbrechen, wie in der
Türkei, dann ist das teilweise schwierig. Wer sich direkt bei einem Ausgang befindet, kann das Gebäude verlassen.
Warum kommt es zu diesen Nachbeben?
So ein grosses Beben setzt sehr viel Energie frei und
verschiebt die Spannungen in der Erdkruste. Bis sich das Ganze wieder ausgeglichen
hat, kann es auch in anderen Bereichen dieser Verwerfungszonen zu Spannungsverschiebungen
und Spannungsentladungen kommen. Das sind dann diese Nachbeben. Es ist zudem nicht auszuschliessen, dass es nochmals zu einem grösseren Beben kommt, dies aber mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit.
Was kann man als Schutz gegen Erdbeben tun?
Es ist nicht das Erdbeben selber, dass die Menschen in der
Türkei getötet hat. Es ist die Infrastruktur, es sind die Häuser, die
zusammenbrechen. Das Beste, was man machen kann, ist erdbebensicher bauen.
Wie gut können Erdbeben vorhergesagt werden? Wird man
überrascht?
Eine Vorhersage funktioniert nur in dem Sinne, dass man
weiss, dass manche Regionen tektonisch gespannt sein können und es dort eher zu grossen
Erdbeben kommt. Man kann aber keine Vorhersage in dem Sinne machen, dass wir
wissen, nächste Woche gibt es ein grosses Beben in der Region. Diese Region in
der Türkei hat historisch grosse Beben gesehen. In den letzten 100 Jahren ist
dort aber nicht viel passiert. Es war absehbar, dass irgendwann wieder ein
grosses Beben kommt, aber nicht wann.