Gedankenspiel

Wann ist man heutzutage eigentlich alt?

30.09.2023, 09:23 Uhr
· Online seit 30.09.2023, 09:17 Uhr
Alles verschiebt sich nach hinten: Wir bleiben länger jung, kriegen später Kinder und werden immer älter. Aber wann sind wir denn alt? Und wie alt werden wir? Eine gedankliche Annäherung.

Quelle: FM1Today / Cynthia Sieber / Philomena Koch

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Erst kann's nicht schnell genug gehen, und spätestens ab 30 gilt das Gegenteil: Die Tage werden irgendwie länger, die Jahre dafür kürzer. In der Kindheit und Jugend scheint die verbleibende Zeit, bis man endlich etwas darf, noch quälend langsam zu vergehen.

Zum Beispiel, das Warten auf den 14. Geburtstag. Mofaprüfung. Zumindest auf dem Dorf früher der erste Anflug von eingebildeter Unabhängigkeit und Freiheit. Oder wir sehnen uns nach dem Beginn der Lehre, dem ersten Zahltag – und dann ziemlich schnell nach dem Ende der Lehrzeit.

Wenn die Eingewöhnung ans Leben als erwachsenenähnliches Geschöpf Mitte oder Ende der 20er abgeschlossen ist, dreht es auf einmal. Fragen kommen auf. Worum geht's hier eigentlich? Familie? Karriere? Oder lieber nochmal zehn Jahre lang Mitte 20 sein?

Heute gewinnt man zehn Jahre

Aus persönlicher Erfahrung: Irgendwie um alles. Klar gibt es jene, die mit 30 schon Kinder, ein Haus, eine Firma oder die erste Million haben. Die Mehrheit hat aber schlicht keine Ahnung, wo es hingehen soll – und bewegt sich zwischen Selbstoptimierung unter der Woche und volllaufen lassen am Wochenende.

Und dabei vergeht die Zeit extrem schnell. Ist auch nicht so ein Problem, denn tendenziell haben wir ja mehr Zeit. Heute gewinnt man zehn Jahre, hat mein Vater mal gesagt. Er meinte damit den gesünderen Lebensstil der Jüngeren, aber auch die Aufweichung der gesellschaftlichen Erwartungen – Familie geht auch noch später irgendwann.

Aber ist man denn mit 30 heute eher noch 20 oder statt 40 erst 30?

Wir werden alt werden 

Die Vergleiche sind natürlich schwierig und die individuellen Unterschiede beträchtlich. Am Ende können wir immer nur so alt sein, wie wir sind – und der Entscheid, gewisse Dinge später zu tun, etwa Kinder kriegen, macht uns für den Moment nicht jünger – sondern nur später zu älteren Eltern.

Aber es gibt schon Argumente dafür. Wir werden immer älter. Die Lebenserwartung steigt, bereits heute gibt es Ausreisser, die weit älter als 100 Jahre werden. Da wird man 100, uralt, ist auf die Grösse eines Teddybären zusammengeschrumpft und sitzt im Rollstuhl – und lebt nochmal 20 Jahre. Und das ist ja nur der heutige Stand.

Die jetzigen Alten haben Weltkriege, Hungersnöte, Krankheiten und dergleichen überlebt – ohne den Standard, den wir heute geniessen. Etwa moderne Medizin, ein Bewusstsein für ausgewogene Ernährung, einen gesunden Lebensstil, Sport als Ausgleich.

Sowas gab es nicht. Die Alten haben sich auf dem Bau zu Tode gekrüppelt und Rauchen galt mal als gesund. Und trotzdem werden sie manchmal 100. Wie das wohl bei einer Generation wird,  die all das von Anfang an hatte?

Technik und Medizin

Im Umgang mit moderner Technologie scheinen die Alten aus der Zeit gefallen. In einem guten Fall können sie mehr schlecht als recht mit den Grundfunktionen eines Smartphones umgehen und einen Brief am Computer schreiben. Daran haben sie keine Schuld: Für den grössten Teil ihres Lebens hat sowas keine Rolle gespielt.

Verglichen mit der Zeit, als unsere Grosseltern jung waren, ist die Welt eine andere. Nur Spinner hätten 1950 geglaubt, dass man auf auf einem kleinen kabellosen Gerät per Videotelefonie mit jemanden vom anderen Ende der Welt in Echtzeit sprechen kann. Dass künstliche Intelligenz ganze Berufszweige ersetzen könnte, oder dass jemand freiwillig Gewichte stemmt.

Nehmen wir diese Entfremdung von der eigenen Vorstellungskraft als Massstab, wird klar, dass wir die Möglichkeiten der Zukunft nicht abschätzen können. Wird Fiktion zur Realität? Werden wir unser Bewusstsein einfach in einen neuen Körper verpflanzen können, Geist und Gehirn mittels Biohacking vor ungewollten Mutationen, vor Alzheimer und Tumoren schützen, ewig leben? Kommt etwas ganz anderes, woran noch gar niemand gedacht hat? Vielleicht.

Aber wann sind wir denn nun alt?

Ohne gedanklichen Ausflug in eine Zukunft, die es vielleicht nie geben wird: Stand heute nenne ich jemanden ab etwa 80 Jahren alt – was aber nicht bedeutet, dass man bis 79 jung ist. Wohl auch nicht bis 69, 59 oder 49.

Aber vielleicht bis 39. Das deckt sich ziemlich genau mit der Hälfte der heutigen Lebenserwartung. Wer als Mann 39 Jahre alt wird, kann erwarten, nochmal etwa 39 Jahre zu Leben.

Und auch wenn es Unterschiede gibt zwischen dem kalendarischen und dem biologischen Alter, man gewinnt ja heute anscheinend 10 Jahre, ist vor allem wichtig, was wir mit dieser Zeit anfangen. Denn die Lebensdauer nimmt zu, ob wir es wollen, oder nicht.

Aber ob wir länger jung bleiben oder länger alt sind, haben wir zu einem grossen Teil selbst in der Hand.

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veröffentlicht: 30. September 2023 09:17
aktualisiert: 30. September 2023 09:23
Quelle: FM1Today

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