«Der Schiri ist der arme Siech»

Viele Fussball-Schiedsrichter hören wegen Anfeindungen auf

02.10.2023, 09:10 Uhr
· Online seit 13.09.2023, 17:30 Uhr
Am Sonntagnachmittag gehen Spieler des FC Zürich-Affoltern den Unparteiischen gewaltsam an. Die Partie wird abgebrochen, der Schiedsrichter muss ins Spital. Hinter jedem zweiten Schiedsrichter-Rücktritt stecken Drohungen oder Gewalt.

Quelle: TeleZüri

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Sonntagnachmittag, der FC Zürich-Affoltern empfängt die dritte Mannschaft von GC. Nach 18 Minuten sind vier Spieler von Affoltern verwarnt, einer sieht bereits die rote Karte. Wegen eines GC-Treffers in der Nachspielzeit drehen einige Spieler von Affoltern durch. Der Schiedsrichter landet im Spital, die Partie wird abgebrochen. Eine Situation, die zeigt: Schiedsrichter sind den Spielern ausgeliefert.

Physische Gewalt gegen die Unparteiischen kommt äusserst selten vor. Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter leiten alleine in der Region Zürich 12'000 bis 15'000 Partien pro Saison, die bis auf Ausnahmen ohne Probleme vonstattengehen.

Schiris klagen über respektloses Verhalten

Beleidigungen und aggressives Verhalten gegenüber den Unparteiischen kommt hingegen ständig vor. Rund 80 bis 90 Prozent aller Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter klagen über respektloses Verhalten, sei es vor, während oder nach dem Spiel. Dies zeigt eine Erhebung des Fussballverbands Region Zürich (FVRZ). Mangelnder Respekt ist auch der Aufhörgrund Nummer 1 bei abtretenden Schiedsrichtern. Rund die Hälfte hört deswegen auf.

Aufgabe des Unparteiischen ist es, die Partie zu Ende zu leiten, auch wenn reihenweise Spieler vom Platz gestellt werden müssen. Beleidigungen und eine unpassende Wortwahl reichen meist nicht aus, dass das Spiel vorzeitig beendet wird. Angenehm sind diese Situationen trotzdem nicht. «Der Schiri ist der arme Siech», meint Giuseppe Monserrato, Präsident des Schweizerischen Schiedsrichterverbands. Erst, wenn der Schiedsrichter bedroht oder angegangen wird, soll er die Partie abbrechen.

Bis zu 5 Spiele pro Saison abgebrochen

Vorfälle, bei welchen ein Schiedsrichter körperlich angegangen wird, können an einer Hand abgezählt werden, meint Monserrato: «Schiedsrichter sein ist nicht gefährlich.» Trotzdem: Jeder Vorfall sei einer zu viel. Zwischen einer und fünf Partien werden in einer Saison abgebrochen, bestätigt Willy Scramoncini vom FVRZ.

Eine engere Zusammenarbeit zwischen Schiedsrichtern und Vereinen sieht er als möglichen Schlüssel für Vorfälle wie in Affoltern. Man müsse lernen, dass beide Akteure dasselbe Ziel verfolgen: ein schönes Fussballspiel. Kein Schiedsrichter gehe am Sonntag auf einen Sportplatz mit dem Ziel, eine Partie zu verpfeifen.

«Das Schiri-Dasein bringt ein gewisses Risiko mit sich»

Vorfälle wie in Affoltern, seien es Tätlichkeiten, Beleidigungen oder Drohungen, gehen den Schiedsrichtern nahe. Einige geben deswegen ihr Hobby auf. Unter ihnen ist auch S.T.*, der anonym bleiben möchte. Er leitete vor mehreren Jahren eine Partie, die schliesslich eskalierte: «Es war ein hitziges Spiel. Ich habe eine rote Karte verteilt. Nach einem Foul sind zwei Spieler aufeinander los. Zuschauer und Trainer sind auch auf das Spielfeld.»

Die Partie wird zwar zu Ende gespielt. Auf dem Weg zur Garderobe muss ein Team ihn schützend zur Garderobe eskortieren. Anwesende hört er sagen, dass sie ihn später abpassen wollen.

Nach dieser Partie braucht er eine Pause. In der Folgesaison pfeift er noch einige Partien, ehe er nicht mehr will. «Wenn du alleine, ohne Begleitperson, an ein Spiel gehst, fühlst du dich nicht mehr sicher», beschreibt er seine Beweggründe. «Das Schiri-Dasein bringt ein gewisses Risiko mit sich.»

*Name der Redaktion bekannt

veröffentlicht: 13. September 2023 17:30
aktualisiert: 2. Oktober 2023 09:10
Quelle: ZüriToday

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