Kanton St.Gallen

Verband über Kohl-Debakel: «Bringt nichts, Gemüse einfach wachsen zu lassen»

22.11.2022, 19:06 Uhr
· Online seit 22.11.2022, 15:02 Uhr
Fast wäre die Bauernfamilie Krucker auf sechs Tonnen Wirz sitzengeblieben, weil die Köpfe zu gross waren. Sie entsprachen nicht der Norm. Doch warum gibt es überhaupt eine Norm? FM1Today hat bei der Gemüsebauvereinigung nachgefragt.
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Der Aufruf der Bauernfamilie Krucker sorgte für einen Aufschrei. Sie wandte sich mit einem Video an die Öffentlichkeit, weil sie keine Abnehmer für ihren zu gross geratenen Wirz fand. Kruckers wollten die sechs Tonnen Gemüse vor dem Kompost retten – und dies gelang. Innerhalb eines Tages verkaufte die Wagener Bauernfamilie die sechs Tonnen am Montag an Personen, welche den Aufruf gesehen hatten.

Der Tenor bei den Abnehmerinnen und Abnehmern des Kohls: Es könne doch nicht sein, dass gutes Gemüse weggeworfen wird, nur weil es nicht der Norm entspricht. Doch warum gibt es überhaupt Normen für Gemüse und Früchte? FM1Today hat bei Armin Risch, selber Gemüseproduzent und Präsident der Gemüsebauvereinigung Rheintal, nachgefragt.

Normen helfen Produzenten

Zuerst: Die Normen sind an und für sich nichts Schlechtes, wie Risch im Gespräch erklärt: «Die Normen dienen dazu, dass jeder Produzent und jede Produzentin einen Standard weiss, wie die produzierte Ware zu vermarkten ist.» Diese Standards beziehen sich auf Form, Grösse, Mindest- und Maximal-Gewicht, Reifegrad, Homogenität in den Gebinden – oder wie Risch es ausdrückt: «Die ganze Anspruchspalette, die man an ein Produkt stellt.»

Zudem sei die Norm eine enorme Hilfe für die Produzenten beim Anbau, betont der Gemüsebauer weiter: «Wenn man ein Produkt anbaut, weiss man, wie lange man es wachsen lassen muss.» Natürlich brauche es Erfahrung, denn die äusseren Einflüsse wie zum Beispiel das Wetter sind nicht immer identisch. Doch die Produzenten hätten diese Erfahrung und würden ihre Produkte ja auch beobachten.

Die Norm werde zwischen den Produzenten und dem Handel schweizweit festgelegt. Der Handel ist danach verpflichtet, die Ware, welche innerhalb dieser Norm liegt, abzunehmen. Als Beispiel nennt Risch den Wirz. Das genormte Mindestgewicht eines Wirz liege bei etwa 300 Gramm, das Maximalgewicht bei einem Kilogramm. Alles was darunter oder drüber ist, muss nicht vom Handel abgenommen werden, da es nicht der vereinbarten Norm entspricht. Der Wirz der Familie Krucker wog 1,5 bis 2 Kilogramm.

Das Auge spielt eine Rolle

Doch warum kann ein Gemüse zu gross oder zu schwer sein? Die Antwort ist simpel: Die meisten Haushalte können oder wollen nicht so viel Gemüse, in diesem Fall Wirz, aufs Mal beziehen. Daher helfe die Norm auch: «Es bringt nichts, wenn ich ein Produkt einfach wachsen lasse, weil es gerade geht, es aber am Ende nicht konsumiert wird, weil der Bedarf nicht da ist», erklärt der Rheintaler Gemüseproduzent. Auch das Auge spielt laut Risch eine Rolle. So wünschen sich die Händler eine möglichst einheitliche Gemüseauslage. «Die Händler wollen nicht einen leichten und einen grossen schweren Wirz nebeneinander haben», führt Risch aus.

Zweitwarenmarkt als Chance

Doch was passiert mit Gemüse, das nicht der Norm entspricht? Wird das in den meisten Fällen einfach weggeworfen? «Nein», sagt Armin Risch. Denn es komme fast auf jedem Betrieb pro Jahr einmal vor, dass ein Produkt nicht der Norm entspricht. Es finde sich eigentlich immer eine Lösung. Die übergrosse Ware könne auf dem Zweitwarenmarkt angeboten werden. Als Beispiel nennt Risch die Gastronomie, die eher mal grössere Mengen verarbeitet, oder auch die Industrie.

Der Verband Schweizer Gemüseproduzenten betont auf Anfrage von FM1Today, dass es wichtig sei, dass der Produzent vor dem Anbau bereits wisse, an wen er das Produkt verkaufe, damit das Produkt zur richtigen Zeit in der richtigen Grösse geerntet werden kann. Denn der Endkonsument bevorzuge kleinere Kaliber als die Industrie oder Gastronomie.

Normen bleiben auch in schlechten Jahren – aber nicht für immer

Gemüse und Früchte sind von den äusseren Einflüssen abhängig – und nicht jedes Jahr ist für jedes Produkt gleich gut. Die Normen bleiben allerdings auch in schlechten Jahren die gleichen. «Meist fehlt es in solchen Fällen am Ertrag, also der Menge. Das Kaliber ist in der Norm so festgelegt, dass man es auch in schlechten Jahren erreicht», erklärt Risch. Danach spiele der Markt mit Angebot und Nachfrage.

Die Normen bleiben nicht immer gleich, sondern werden periodisch angepasst. Laut Risch gibt es momentan einen Trend in Richtung grösserem Gemüse.

veröffentlicht: 22. November 2022 15:02
aktualisiert: 22. November 2022 19:06
Quelle: FM1Today

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