Personalmangel

Schweizer Altersheime stellen Bewohnende ruhig mit Medikamenten

11.10.2022, 14:12 Uhr
· Online seit 12.05.2022, 09:34 Uhr
In Schweizer Altersheimen wird den Bewohnenden vermehrt ein Mittel gegen Schizophrenie oder bipolare Störungen verabreicht. Dies auch bei Seniorinnen und Senioren, die nicht unter einer psychotischen Erkrankung leiden.
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Ein Medikament gegen Schizophrenie oder bipolare Störungen wird in Schweizer Pflegeheimen verabreicht – auch bei Seniorinnen und Senioren, die nicht unter einer psychotischen Erkrankung leiden. Dies schreibt der «Tages-Anzeiger». Die Wirkung des Medikaments: Es führe zu Antriebslosigkeit und Lethargie. Damit liessen sich Betagte ohne grossen Aufwand ruhigstellen, die verwirrt oder aggressiv sind, beispielsweise wegen einer Demenz.

Abgabe um 30 Prozent zugelegt

Beim Medikament handelt es sich um Quetiapin, das in der Schweiz immer beliebter wird. Laut einem Arzneimittelreport der Helsana habe die Abgabe in den letzten vier Jahren um 30 Prozent zugenommen. Zudem beliefen sich die Kosten im Jahr 2020 auf rund 50 Millionen Franken, somit liege das Medikament unter den 20 kostenintensivsten Wirkstoffen.

Eine noch unveröffentlichte Studie zu Behandlungsdaten von über 600 Altersheimen in der Schweiz zeigt: Fast die Hälfte der Bewohnenden über 65 Jahren erhalten pro Woche neun oder mehr verschiedene Arzneimittel. Experten sprechen schon ab fünf Medikamenten von einer Polypharmazie, bei der es zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen kann. Experten sagten gegenüber dem «Tages-Anzeiger», diese Zahlen dürften niemals so hoch sein und sie hätten sie erschreckt.

Fussmassage und Baldriantee

In Fällen, bei denen Quetiapin verabreicht wird, wäre die pflegerische Betreuung die bessere Lösung. Eine Pflegefachfrau sagt gegenüber dem «Tages-Anzeiger», man könnte aufgebrachten Seniorinnen und Senioren mit einer Fussmassage oder einem Baldriantee helfen, dafür fehle aber oft die Zeit. Das Medikament sei schneller aus dem Schrank geholt.

Grüne-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber ist Präsidentin der VPOD, der Gewerkschaft des Personals öffentlicher Dienste. Auch sie sieht das Problem: «Die Situation beelendet die Pflegenden. Es hat viel zu wenig qualifiziertes Personal, die Löhne sind schlecht.» Sie findet, es brauche mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. «Man kann nicht einfach jemanden hinstellen und meinen, der oder die kann eine demente Person betreuen. Es braucht eine bessere Finanzierung der Langzeitpflege, und hier harzt die bürgerliche Mehrheit», ergänzt Prelicz-Huber.

veröffentlicht: 12. Mai 2022 09:34
aktualisiert: 11. Oktober 2022 14:12
Quelle: Today-Zentralredaktion

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