Tankstellen-Rätsel

Rohölpreise sind auf Vorkriegs-Niveau – wieso bleibt das Benzin teuer?

11.08.2022, 11:28 Uhr
· Online seit 11.08.2022, 08:36 Uhr
Als der Rohölpreis in die Höhe schoss, tat es der Benzinpreis auch. Jetzt, da Rohöl billiger ist, sinkt der Benzinpreis nur langsam. Der Preisüberwacher untersucht – geben die Ölkonzerne die Preisänderungen nur dann schnell durch, wenn es ihnen gelegen kommt?
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An den Weltmärkten für Rohöl hat es eine überraschende Wende gegeben: Nachdem Russland am 24. Februar in die Ukraine eingefallen war, schoss der Rohölpreis in die Höhe. Doch inzwischen ist das «schwarze Gold» schon seit Wochen auf preislichem Sinkflug. Seit dieser Woche kostet Rohöl wieder ungefähr so viel wie vor der russischen Invasion – nämlich weniger als 100 Dollar pro Fass, wie die Zeitungen von CH Media schreiben.

Die Benzinpreise haben diese Talfahrt aber nicht mitgemacht, Tanken ist nach wie vor sehr teuer. So tun sich natürlich Fragen auf: Als Rohöl teuer wurde, haben da die «Öl-Riesen» bloss diese Kostensteigerungen weitergegeben – oder setzten sie die Preise höher als nötig und optimierten so nebenbei ihre Marge? Und jetzt, da Rohöl billiger wird: Nehmen es die Ölkonzerne plötzlich gemütlicher?

Österreich stellt Transparenz sicher

Beat Niederhauser, Stellvertreter des Preisüberwachers, sagt gegenüber CH Media: «Wir haben viele Meldungen erhalten, in welchen vermutet wird, dass Preissteigerungen des Rohöls rascher weitergegeben werden als die entsprechenden Senkungen.» Der Preisüberwacher führt derzeit eine Untersuchung durch, die noch andauert. Für Niederhauser scheint aber jetzt bereits klar: Würde mehr Transparenz herrschen, würden die Konzerne auch sinkende Preise schneller weitergeben – schliesslich wollen sie nicht von der Konkurrenz abgehängt werden.

Am Beispiel Österreich zeigt sich, dass Transparenz nützt. Tankstellen müssen dort täglich ihre Preise in einer App eingeben. Damit ist immer ersichtlich, wo es das günstigste Benzin gibt – und die Anbieter haben einen Anreiz, bei den günstigsten Tankstellen, die die Liste anführen, mit dabei zu sein. Niederhauser sagt dazu: «In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass ein Rückgang des Rohölpreises in Österreich auch dank der dortigen Treibstoffpreisvergleichs-App etwas schneller weitergegeben wird als Rohölpreiserhöhungen.»

Für Tankstellen ist der Preis des Fertigtreibstoffs entscheidend

Ein Blick auf die Zahlen des Touring Clubs Schweiz (TCS) zeigt, dass der Benzinpreis zwar auf die Entwicklung des Rohölpreises reagiert. Innert eines Monats ist der Preis für einen Liter Bleifrei 95 an der Zapfsäule um 10 Rappen auf 2.14 Franken gesunken. Doch er liegt damit immer noch deutlich über dem Vorkriegs-Niveau. Gäbe es eine direkte Kopplung von Rohöl- und Treibstoffpreis, müsste Benzin jetzt wieder 1,89 Franken pro Liter kosten.

Beim Diesel ist der Preis in den letzten vier Wochen deutlich weniger stark gesunken, nämlich nur um 3 Rappen auf 2,33 Franken pro Liter. Im Februar, vor Kriegsausbruch, lag der Dieselpreis noch bei 1,94 Franken. Es gibt also eine Differenz.

Angebot und Nachfrage können Kurs in Höhe treiben

Doch die Erklärung dafür müssen nicht unbedingt höheren Margen sein – es gibt andere mögliche Gründe. So handelt es sich bei Rohöl und Treibstoffen um zwei unterschiedliche Produkte. Bis aus Rohöl Benzin oder Diesel fürs Auto wird, sind komplexe Arbeitsschritte nötig, die Zeit in Anspruch nehmen. Und für die Preise an der Tankstelle ist schliesslich weniger der Rohölpreis, sondern der Preis von Fertigtreibstoffen an der Börse massgebend.

Wichtig sind dabei die sogenannten «Platts»-Notierungen in Rotterdam (Holland). Dort können eine stark steigende Nachfrage oder die eingeschränkten Kapazitäten der Raffinerien die Kurse in die Höhe treiben. «Durch Spekulation werden auch bei Produktpreisen die Schwankungen an den Börsen oft noch verstärkt», erklärt TCS-Sprecherin Sarah Wahlen.

Schiffstransport beeinflusst Preis ebenfalls

Der Preis für Benzin hängt also nicht unmittelbar an jenem für Rohöl, und er wird durch weitere Kostenblöcke wie den Schiffstransport und den Vertrieb im Inland beeinflusst, deren Preise ebenfalls schwanken können.

Hier treiben aktuell die rekordtiefen Pegelstände bei der Rheinschifffahrt die Transportkosten in die Höhe. Der Preis für die Verschiffung einer Tonne auf dem Rhein nach Basel ist seit Anfang Juni von 30 auf aktuell 260 Franken geklettert. Der Grund: Die Schiffe können derzeit nur einen Drittel ihrer Kapazität laden. Dadurch gelangt weniger Benzin und Diesel in die Schweiz.

Dass es tatsächlich zu «Tank-Sauereien» kommt, ist also nicht einfach nachzuweisen. Es braucht schon sorgfältige Auswertungen. In der Schweiz muss die Untersuchung des Preisüberwachers abgewartet werden. Was klar zu sein scheint: Transparenz, wie Österreich sie vorlebt, würde den Automobilisten entgegenkommen.

(Pascal Michel/Niklaus Vontobel/mhe)

veröffentlicht: 11. August 2022 08:36
aktualisiert: 11. August 2022 11:28
Quelle: Today-Zentralredaktion

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