Frauenmangel in Industrie

«Müssen Begeisterung für Technologie bei jungen Frauen wecken»

24.10.2023, 18:02 Uhr
· Online seit 24.10.2023, 17:52 Uhr
In der Schweiz gibt es zurzeit viele offene Stellen. Besonders in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) ist die Nachfrage hoch. Gleichzeitig ist der Frauenanteil sehr niedrig. Warum das so ist und was dagegen unternommen werden kann.
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Die Nachfrage nach Fachleuten in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) hält gemäss dem Swiss Job Market Index des Personaldienstleisters Adecco weiter an. Die Branche ist bekannt als «Männerdomäne», denn der Frauenanteil in der MEM liegt bei 25 Prozent (respektive 27 Prozent bei MEM-Mitgliedern), wie der Gender Intelligence Report 2022 der Universität St.Gallen zeigte.

Nur ein Viertel der Beschäftigten in der Branche sind also Frauen. Bei den Angestellten, die tatsächlich an Maschinen arbeiten, dürfte der Anteil der Frauen noch kleiner sein. Denn bei den 25 Prozent sind alle Frauen mit einberechnet, auch solche, die etwa im Büro arbeiten.

Die MEM braucht Fachkräfte. Es läge auf der Hand, die grosse Nachfrage mit Frauen zu decken. Wie können Frauen und Mädchen für Berufe in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie begeistert werden? Und warum herrscht überhaupt ein solcher Frauenmangel?

Nora Teuwsen, Vorsitzende der Geschäftsleitung ABB Schweiz, und Dr. Michael Siegenthaler von der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH schildern ihre Sicht der Dinge.

Frau Teuwsen, warum ist der Frauenanteil in der Schweizer Industrie so niedrig?

Nora Teuwsen: In der Schweiz sind Frauen und Mädchen in technischen Lehrstellen und technischen Studiengängen stark unterrepräsentiert. Das wirkt sich auf den Frauenanteil in den Betrieben aus. Und das ist schon lange so. Es liegt letztlich an uns, faire Chancen für alle und ein flexibles Arbeitsumfeld anzubieten.

Was kann die Branche gegen den Frauenmangel tun?

Nora Teuwsen: Wir Unternehmen können nicht zurücklehnen und warten, dass uns jemand die richtig ausgebildeten Leute liefert. Wir von der ABB müssen es sein, welche die nächste Generation an Fachleuten ausbilden. Es braucht Vorbilder in der Industrie und diese Vorbilder müssen wir sichtbar machen.

Wie kann der Frauenanteil in Zukunft steigen?

Nora Teuwsen: Wir müssen die Begeisterung für Technologie bei viel mehr jungen Frauen wecken. Das werden wir schaffen und der Frauenanteil wird steigen!

Quelle: tvo

Herr Siegenthaler, so viele Leute wie noch nie werden in der MEM-Industrie gesucht. Gleichzeitig ist es eine extreme Männerdomäne, in der nur wenige Frauen arbeiten. Warum ist das so?

Michael Siegenthaler: Typische Industrie- und Handwerksberufe sind in der Schweiz seit Jahrhunderten Männerdomänen. Die Volkswirtschaft und das Bildungswesen haben es bis jetzt nicht geschafft, einen ausgeglichenen Männer- und Frauenanteil zu haben. Umgekehrt gibt es auch Bereiche, wie etwa die Pflege, die Frauendomänen sind. Doch die MEM-Industrie ist geprägt von «Männer-Berufen».

Sie sagen, das sei schon lange so. Wo hat man Chancen verpasst?

Michael Siegenthaler: Dass es überhaupt Männer- und Frauenbastionen gibt, hat viel mit Normen und Vorstellungen zu tun: Was eine Frau und einen Mann ausmacht und was sie interessant finden. Man hat bisher viel investiert, um Frauen für MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Fächer, Ingenieurwesen oder Handwerksberufe zu begeistern. Das ist mittelmässig bis schlecht gelungen.

Gibt es auch Branchen, in denen der Frauenanteil gestiegen ist?

Michael Siegenthaler: Es gibt wenige gute Beispiele. Bei den Maurerinnen und Maurern hat man es geschafft. Das wird zunehmend zu einem Frauenberuf. Arbeitgeber sind aktiv auf Schülerinnen zugegangen und haben versucht, sie für Praktika zu begeistern. Man hat auch versucht, Teilzeitarbeit zu ermöglichen. Das ist in der Schweiz auch ein Faktor, um Frauen in einen Beruf zu bekommen. Man hat ausserdem gezeigt, dass es auch ein kreativer Beruf ist, nicht nur ein handwerklicher.

Was muss in Schulen getan werden?

Michael Siegenthaler: Es braucht auch Massnahmen auf schulischer Ebene. Dass sich Lehrerinnen und Lehrer bewusst sind, dass sie in Stereotypen denken. Dass sie etwa oft Männer in ihren Handwerks-Fähigkeiten und Frauen in ihren kulturellen und sozialen Fähigkeiten bestärken. Solange die Lehrpersonen nicht dagegen steuern und sich nicht konter-stereotyp verhalten, wird es schwierig.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Michael Siegenthaler: Im Zeitalter des Fachkräftemangels werden die Firmen aktiv. Ich bin recht zuversichtlich, dass manche Firmen Massnahmen ergreifen, aktiv Frauen rekrutieren und so einen höheren Frauenanteil erreichen. Und auch indem die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass sie mit einer Familie vereinbar sind. Massnahmen greifen dann, wenn Firmen keine Arbeitskräfte finden.

(Dario Jeker, CH Media Radio Newscloud/gin)

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veröffentlicht: 24. Oktober 2023 17:52
aktualisiert: 24. Oktober 2023 18:02
Quelle: Today-Zentralredaktion

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