Verhütung

«Kontrolle des weiblichen Körpers»: Pille danach schwerer zu bekommen als Viagra

21.10.2023, 11:49 Uhr
· Online seit 21.10.2023, 09:35 Uhr
Wöchentlich nehmen etwa 2000 Frauen die «Pille danach», um nicht schwanger zu werden. Trotzdem sind die Hürden hoch, an die Notfallverhütung zu kommen. Das kritisieren Politikerinnen von links und rechts, eine Professorin – und die Pharmabranche.
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Sie ist die Notlösung für Frauen und andere menstruierenden Menschen, wenn sie eine Schwangerschaft nach dem Geschlechtsverkehr verhindern wollen: die «Pille danach». Doch um an diese zu kommen, müssen Frauen in der Schweiz einen mühsamen und langwierigen Prozess durchmachen, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. In der Schweiz werden jährlich 100'000 Packungen verkauft.

Schweiz restriktiver als Ausland

Wer eine «Pille danach» bekommen möchte, muss ein obligatorisches Beratungsgespräch in den Apotheken führen. Ausserdem müssen die Frauen in einem Fragebogen intime Fragen beantworten. Diese Formulare dürfen die Apotheken 20 Jahre lang aufbewahren. Das Medikament müssen die Frauen dann in der Apotheke im Beisein eines Apothekers oder einer Apothekerin einnehmen.

Die 60 Franken für  die «Pille danach» müssen die Frauen selbst zahlen – denn die Krankenkassen beteiligen sich nicht an den Kosten.

Damit ist die Schweiz was die «Pille danach» betrifft, restriktiver als die meisten anderen Länder in Europa. In Italien, Grossbritannien oder Frankreich wird die «Pille danach» kostenlos an Schülerinnen abgegeben, wenn sie dies verlangen. Ausserdem ist Werbung erlaubt – in der Schweiz hingegen ist sie verboten.

Politikerinnen von links und rechts fordern erleichterten Zugang 

All das muss sich laut SP-Nationalrätin Tamara Funiciello unbedingt ändern. «Man spricht viel von Eigenverantwortung, aber wenn es um den Körper von Frauen geht, traut man ihnen wenig zu», sagt sie. In der Herbstsession hat sie deshalb eine Interpellation eingereicht. Sie will vom Bundesrat wissen, warum es diese «nicht nachvollziehbar scharfe» Regulierung gebe und fordert, dass diese wegfalle. Während Dafalgan und andere Medikamente problemlos bezogen werden könnten, mache man bei frauenspezifischen Anliegen grosse Ausnahmen.

Unterstützung kommt sie von rechter Seite. «Der Zugang zur ‹Pille danach› muss zweifellos erleichtert werden», sagt SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz.

«Geschlechtsspezifische Diskrimination»

Derselben Meinung ist Mélanie Levy, Co-Direktorin des Instituts für Gesundheitsrecht an der Universität Neuenburg. «Kein anderes Medikament in der Schweiz muss mit einem solchen hindernisreichen Verfahren bezogen werden», so die Professorin gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Männer kämen ohne mühsames Prozedere an Viagra – das, obwohl das Potenzmittel in die gleiche Medikamentenkategorie falle wie die «Pille danach».

Für die Professorin ist klar: «Es handelt sich um eine geschlechtsspezifische Diskrimination im Zugang zu einer wichtigen Gesundheitsdienstleistung.» Die Pille danach mache sichtbar, dass Frauen sexuell aktiv seien, deshalb gehe es um die «Kontrolle des weiblichen Körpers».

Etwas differenzierter sieht es Yvonne Gilli, Präsidentin des Verbands der Ärztinnen und Ärzte FMH. Die Beratungsgespräche brauche es ihrer Meinung nach unbedingt. Jedoch erachtet auch sie die weiteren Formalitäten als nicht notwendig.

Auch Pharmabranche will Zugang zu «Pille danach» erleichtern

Nicht nur die Politik fordert einen lockereren Umfang mit der «Pille danach». Die Herstellerin der Pille, HRA Pharma, hat beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht, denn sie will, dass die «Pille danach» in eine andere Medikamentenkategorie eingeteilt wird.

Der Hintergedanke ist allerdings wohl ein finanzieller. Würde die «Pille danach» von der Medikamentenkategorie B zu D wechseln, dürfte die Firma dafür werben und das Medikament auch in Drogerien verkaufen.

Das Bundesgericht hat die Beschwerde allerdings abgelehnt mit der Begründung eines Missbrauchspotenzials der «Pille danach». HRA Pharma hat die Beschwerde weitergezogen.

«Pille danach» an Wochenenden teurer

Mélanie Levy macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: An Wochenenden und abends ist die «Pille danach» teurer. Dies habe eine Studie ergebenen. Zwar seien die Preisschwankungen legal, doch: «Sie erschweren den Zugang zusätzlich, insbesondere für junge Frauen».

Das ist ein Problem: Denn die «Pille danach» muss innert fünf Tagen nach dem Sex eingenommen werden, noch besser in den ersten 24 Stunden – dann ist sie am wirksamsten.

(gin)

veröffentlicht: 21. Oktober 2023 09:35
aktualisiert: 21. Oktober 2023 11:49
Quelle: ZüriToday

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