Studie

Klimaaktivisten: Schweizer Gerichte fällen politische Urteile

20.07.2023, 13:52 Uhr
· Online seit 20.07.2023, 12:57 Uhr
Bei Prozessen gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten fällen Gerichte laut einer Studie politische Urteile, ohne sich dessen bewusst zu sein. So beurteilte die Mehrheit der Gerichte den Klimawandel nicht unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte.
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Die richterlichen Behörden in der Schweiz betrachteten den Klimawandel als Tatsache, gingen aber davon aus, dass Folgen und Lösungsansätze nicht vor ein Gericht gehören würden, heisst es in einer Studie der Universitäten Bern und Lausanne, über welche die Zeitung «Le Courrier» am Donnerstag berichtete.

Gewaltfreier Widerstand werde wie ein Verbrechen verfolgt und nicht wie ein Vergehen. Meistens erfolgten die Urteile aufgrund von Nötigung. Die Gerichte würden der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit weniger Gewicht einräumen, als dem Recht auf Privatbesitz und Bewegungsfreiheit, schliessen die Studienverfasser aufgrund der Analyse von rund 150 Urteilen.

Mit dieser vermeintlich unpolitischen Konzentration auf die strafrechtlichen Konsequenzen liessen die Richterinnen und Richter nicht nur die demokratischen Rechte der Aktivisten ausser acht, sondern auch Menschenrechte wie das Recht auf Leben und auf eine gesunde Umwelt.

Diskussionsverweigerung

Daneben verweigerten die richterlichen Instanzen die Diskussion über die Gerechtigkeit in einer sich ändernden Gesellschaft, die eigene Rolle bei der Wahrung der Menschenrechte und die Demokratie. Genau das mache ihre Urteile politisch, hält die Studie fest.

Den Notstandsartikel im Strafgesetzbuch hätten nur gerade zwei Gerichte den Angeklagten zugute gehalten. Diese Urteile hat das Bundesgericht unterdessen aufgehoben.

Auch ist es gemäss den Forscherinnen und Forschern erstaunlich, wie wenige Richter sich auf die Rechtsprechung des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs seit 1974 berufen. Expertinnen oder Experten für den Klimawandel würden kaum je zugelassen.

Zudem gibt es den Angaben zufolge grosse kantonale Unterschiede und Widersprüche in der Rechtsprechung gegenüber Klimabewegten. Die Behauptung, die Gerichte würden lediglich ein Gesetz anwenden, sei nicht haltbar.

Repressionsmassnahmen

Die Richter würden sich viel mehr dazu veranlasst sehen, das bestehende Recht zu formen und zu präzisieren. Nach einer Klärung vor Bundesgericht dürfte es zu vielen Weiterzügen vor den Menschenrechtsgerichtshof kommen.

Im weiteren hält die Studie fest, dass einige Gerichte an der Rechtmässigkeit der Ganzkörper-Durchsuchungen, vorläufigen Festnahmen und DNA-Proben von Klimaaktivisten zweifeln. Im allgemeinen entstehe aber der Eindruck, dass Urteile und Polizeipraxis der Abschreckung dienen. Die Massnahmen richteten sich auch gegen andere soziale Bewegungen.

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veröffentlicht: 20. Juli 2023 12:57
aktualisiert: 20. Juli 2023 13:52
Quelle: FM1Today

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