Schweiz

Jede Nacht harren Menschen am HB aus – fast keinen interessierts

Flüchtlingskrise

Jede Nacht harren Menschen am HB aus – fast keinen interessierts

03.02.2023, 10:58 Uhr
· Online seit 03.02.2023, 10:55 Uhr
Aktuell schlafen Nacht für Nacht Geflüchtete auf den Strassen rund um den Zürcher Hauptbahnhof. Sie warten auf die erste Gelegenheit, um aus der Schweiz zu kommen. Die Behörden schauen zu.
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Es sind jeden Abend mehrere Dutzend Geflüchtete, die um den HB die Nacht verbringen. Die jungen Männer stammen mehrheitlich aus Afghanistan und Marokko. Sie kommen am Abend mit dem letzten Zug an und wollen am nächsten Tag mit dem ersten weiter. Im Bahnhof selbst können sie aber nicht übernachten, der ist zwischen 01.30 Uhr und 03.45 Uhr abgeriegelt.

Kaum jemand kümmert sich um die Menschen. Das hat politische Gründe. Die Schweiz ist für viele nur ein Durchreiseland. Sie wollen nach England, Frankreich oder Deutschland weiter, und haben bereits einen Asylantrag in einem anderen Land gestellt, wie «Watson» berichtet.

Für die Behörden existieren die Menschen nicht

Dass die Männer problemlos durch die Schweiz weiterreisen können, kritisiert die EU, insbesondere Deutschland. Es sei ein Verstoss gegen das sogenannte Dublin-Verfahren. Laut diesem Verfahren müssen Flüchtlinge zurück in den Staat, in dem sie den ersten Asylantrag gestellt haben.

Wie das Staatssekretariat für Migration SEM gegenüber «Watson» sagt, gebe es aber keine rechtliche Grundlage, diese Menschen festzuhalten, nur weil sie illegal in die Schweiz einreisen würden. Es werde lediglich ein Dokument ausgestellt, das sie auffordere, das Land wieder zu verlassen.

Das führt gleichzeitig dazu, dass diese Menschen in der Schweiz behördlich quasi nicht existieren. Sie werden nirgends registriert. Offiziell ist niemand zuständig für Flüchtlinge auf der Durchreise.

Schon zwei Wochen im Vorfeld sind die Geflüchteten Menschen über die Sirenentests in der Schweiz informiert worden. Damit wollte man verhindern, dass Traumata aufgerüttelt werden. Die Informationen haben grundsätzlich geholfen – kalt lässt es die Menschen dennoch nicht:

Quelle: PilatusToday/Andreas Wolf

Für Hilfe braucht es einen Asylantrag

Auf die Frage, ob die Schweiz eine Unterbringung während der Nacht anbieten kann, verweist Lukas Rieder vom SEM auf die Bundesasylzentren: «Alle Asylsuchenden können sich bei einem Bundesasylzentrum melden.» Wer jedoch den Schutz der Schweiz explizit nicht wolle, dem könne das SEM auch keine Hilfe anbieten.

Die Flüchtlinge könnten sich also an ein Asylzentrum wenden. Dann müssten sie aber einen Asylantrag in der Schweiz stellen. Was sie nicht können oder wollen.

«Für Zürich ist das recht erbärmlich»

Von offizieller Seite fühlt sich also niemand zuständig und die Flüchtlinge melden sich nicht, weil sie befürchten, aufgegriffen zu werden. Damit bleibt ihnen nur die wohltätige Fürsorge. Die Kältepatrouille des Sozialwerks Pfarrer Sieber ist nachts am HB unterwegs und hilft den Menschen.

«Für eine Stadt wie Zürich und das Schweizer Volk scheint mir so etwas doch recht erbärmlich», sagt Samuel Glausen. Er und sein Team verteilen am HB Decken, Tee und warme Kleidung, um die Kälte erträglicher zu machen.

Ein Bett in der Notschlafstelle könne das Hilfswerk nur dann anbieten, wenn es nicht zu viele Bedürftige seien. Sonst müsste man selektieren und das wolle man auf keinen Fall. Zudem würden die meisten Flüchtlinge gar nicht dorthin wollen. Sie hätten Angst, den ersten Zug am Morgen zu verpassen und zurück an die Grenze gebracht zu werden.

(osc)

veröffentlicht: 3. Februar 2023 10:55
aktualisiert: 3. Februar 2023 10:58
Quelle: ZüriToday

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