KI killt Jobs

Führt erhöhtes Rentenalter wegen KI zu Massenarbeitslosigkeit?

20.02.2024, 06:57 Uhr
· Online seit 20.02.2024, 06:14 Uhr
Die Renteninitiative fordert, dass die Menschen in der Schweiz länger als bis 65 arbeiten. Gleichzeitig verschwinden wegen Künstlicher Intelligenz künftig immer mehr Jobs. Ein Befürworter und ein Gegner der Initiative nehmen Stellung.

Quelle: Darum gehts bei der Renteninitiative / TeleZüri / Archiv-Beitrag vom 18. Januar 2024

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Fast überall, wo es Arbeit gibt, stehen Roboter in den Startlöchern. Künstliche Intelligenz (KI) ist auf dem Vormarsch. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) prognostiziert, dass KI in entwickelten Volkswirtschaften rund 60 Prozent der Arbeitsplätze beeinflussen wird. So soll der Einsatz von KI bei rund der Hälfte der Jobs zu einer höheren Produktivität führen. Bei der anderen Hälfte rechnet der IWF mit negativen Folgen: Jobs verschwinden, da KI Aufgaben übernimmt, die heute von Menschen ausgeführt werden. Auch sinken die Löhne.

Die Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young geht davon aus, dass sich KI in reicheren Ländern wie der Schweiz stärker auf die Arbeit auswirkt. So soll jede zwanzigste Arbeitsstelle potenziell gefährdet sein.

Beschäftigung habe nicht abgenommen

Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen, über die das Volk am 3. März abstimmt, steht für manche Schweizerinnen und Schweizer quer in der Landschaft. Die Initiative fordert, dass das Rentenalter bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre erhöht wird und danach bei steigender Lebenserwartung automatisch. Im Jahr 2043 wäre das Rentenalter 67 laut Schätzungen des Bundes erreicht.

Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, ist nicht der Meinung, dass die Renteninitiative im Zuge von KI am Ziel vorbeischiesst. «Nur weil laufend neue Technologien erfunden werden, müssen wir keine Massenarbeitslosigkeit befürchten und ein höheres Rentenalter infrage stellen», sagt er der Today-Redaktion. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt «trotz technologisch gewaltigem Fortschritt» nicht abgenommen habe.

«Wir Menschen können so viele Dinge richtig gut»

Müller ist sich der Szenarien verschwindender Jobs bewusst. «Es ist möglich, dass die Post in ferner Zukunft von Drohnen geliefert wird und es dann weniger Pöstler brauchen wird», sagt er als Beispiel. Doch bei der Post brauche es Menschen, welche die riesigen Datenzentren überwachten.

Er sei überzeugt, dass das grosse Wachstum auf den Arbeitsmärkten überhaupt erst passiere, weil neue Technologien neue Stellen schufen. Roboter könnten die menschliche Arbeit nicht vollständig ersetzen. «Es gibt so viele Dinge, die wir Menschen richtig gut können. Die neuen Technologien werden die Art, wie wir arbeiten, ändern. Aber wir bleiben Herr der Lage.»

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Seine Prognosen untermauert er mit einem Blick auf die Vergangenheit: «Als ich ein kleiner Bub war, hätte ich zum Beispiel auch nie gedacht, dass Unternehmen einst junge Leute für Tiktok-Inhalte anheuern werden», so der 31-Jährige.

69 Millionen neue Jobs, 83 Millionen gehen verloren

Auf die Schweiz rollt in den nächsten Jahren wegen der Babyboomer, die in Rente gehen, eine grosse Pensionierungswelle zu. Gleichzeitig füllen die jüngeren Generationen die Lücken im Arbeitsmarkt nicht aus. Matthias Müller ist deshalb überzeugt: «Mit und ohne KI wird uns die Arbeit wegen der vielen Arbeitskräfte, die den Markt verlassen, nicht ausgehen.» Die Schweiz sei zum Erhalt ihres Wohlstandes auf die älteren Menschen, die hoffentlich über das Rentenalter hinaus in den Betrieben blieben, angewiesen. «Sie sind das Gold unserer Gesellschaft.»

Ernst & Young sieht in seiner Studie ähnliches Potenzial. KI ersetze den Menschen nicht, sondern ergänze und unterstütze ihn. «Weltweit werden 69 Millionen neue Jobs entstehen, 83 Millionen gehen verloren.» Der Verlust an konventionellen Jobs werde durch fast gleich viel neue kompensiert werden. «Mittelfristig ist sogar ein positives Nettowachstum möglich.»

55 plus hat Mühe bei Jobsuche

Linke und Gewerkschaften wehren sich gegen die Renteninitiative. Unter anderem argumentieren sie damit, dass bereits heute viele Menschen ab 55 Jahren vermehrt aus dem Arbeitsleben ausschieden, weil sie keine Stelle mehr fänden.

Topverdienende könnten sich dagegen frühpensionieren lassen, während andere bis zur Erschöpfung arbeiten müssten, begründet die SP ihr Nein zur Renteninitiative.

«Noch mehr über 55-Jährige landen bei Arbeitslosenkasse»

Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), geht davon aus, dass sich dies im Zuge von KI verstärkt. «Arbeitgeber werden gegenüber älteren Arbeitnehmenden noch mehr Misstrauen haben, wenn sie neue Technologien einsetzen.» So trauten sie ihnen nicht zu, solche zu beherrschen. «Die Arbeitgeber zeigen schon heute wenig Bereitschaft, sich bei älteren Bewerberinnen und Bewerbern auf Experimente einzulassen.» In der Folge landeten noch mehr Arbeitnehmende ab 55 Jahren oder zumindest ab 60 Jahren bei der Arbeitslosenkasse.

Viele Arbeitssuchende über 55 Jahre halten sich mit Temporärjobs über Wasser. Darunter fielen oft körperlich anstrengende Arbeiten, sagt Lampart. «Wir können nicht verantworten, dass sich Senioren noch mit über 65 Jahren mit Gelenkschmerzen zur Arbeit schleppen und sich dazu von einem jungen Chef plagen lassen müssen.»

veröffentlicht: 20. Februar 2024 06:14
aktualisiert: 20. Februar 2024 06:57
Quelle: ZüriToday

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