Klima, Krieg, Prämien

«Eine Sorgenwahl» – Schweiz wählt neues Parlament mitten in Krisen

· Online seit 22.10.2023, 08:04 Uhr
Das Volk bestimmt am Sonntag, wer künftig im Nationalrat und im Ständerat sitzt. Die unsicheren Zeiten werden laut einem Zukunftsforscher einen grossen Einfluss haben. Ein Politologe rechnet mit neuem Druck auf die Parteien.
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Mitten in unruhigen Zeiten wählt die Schweiz ein neues Parlament. Seit den letzten Wahlen im Jahr 2019 ist viel passiert. Die Corona-Pandemie hat Risse in der Schweiz hinterlassen. Uneinig ist sich die Bevölkerung in der Klimathematik. Regelmässig für Aufruhr sorgen Forderungen rund um die LGBTQ-Community. Noch immer kein Rezept gefunden hat die Politik gegen die explodierenden Krankenkassenprämien. Und als wäre all das nicht schon genug, tobt im Nahen Osten ein brutaler Krieg.

Am heutigen Sonntag wird sich zeigen, welche Parteien Sitze gewinnen und welche Sitze verlieren. In der neuen Legislatur werden unter den 246 Abgeordneten auch viele neue Köpfe über die Zukunft der Schweiz bestimmen.

«Man will bewahren, was man hat»

«Die Wahlen am Sonntag sind eine Sorgenwahl», sagt Andreas M. Krafft, Studienautor, Zukunftsforscher und Vorstand von Swissfuture, gegenüber der Today-Redaktion. Je mehr Krisen die Menschen umgeben, desto mehr ziehen sie sich zurück.» Die Wählenden suchten nach Sicherheit und Beständigkeit. «Man will bewahren, was man hat.»

Schlechte Chancen habe dagegen alles, was mit Veränderung oder Öffnung zu tun habe, sagt Krafft. «Deshalb trauen die Menschen etwa den Wirtschaftsparteien, die für Innovation stehen, nicht mehr zu, die aktuellen Probleme zu lösen.»

Langfristige Themen wie der Klimawandel geraten laut Krafft in Krisenzeiten in den Hintergrund. «Wichtiger erscheinen den Menschen stattdessen kurzfristige Themen wie die Krankenkassenprämien.» Da Parteien Themen suchten, die gerade in der Gesellschaft brisant seien, sprängen sie auf diese auf.

Grünen drohen Verluste

Geht es nach dem aktuellen SRG-Wahlbarometer, legen SVP, SP und Mitte gegenüber den Wahlen 2019 zu. Grüne und GLP müssen dagegen Verluste einbüssen. Die Grünen, die 2019 einen Erdrutschsieg feierten, drohen sogar unter die Zehn-Prozent-Grenze zu fallen. Die FDP könnte als einzige Partei das zweite Mal in Folge verlieren, da die Mitte laut der Umfrage einen leichten Vorsprung hat.

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«Verliert die FDP tatsächlich Sitze, wird es im Parlament insgesamt keine grossen Verschiebungen geben», sagt Georg Lutz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Lausanne, gegenüber der Today-Redaktion. Seit dem Aufstieg der SVP in den 90er-Jahren und der Gründung der GLP in den 2000er-Jahren seien die grossen Umwälzungen im Parteiensystem vorbei. «Klar ist aber, dass die neuen Kräfteverhältnisse die politische Dynamik beeinflussen werden.»

«Versuchen, SVP Wind aus den Segeln zu nehmen»

Wählt das Stimmvolk wie vom SRG-Wahlbarometer prognostiziert, geht Lutz davon aus, dass Klimathemen zu Beginn der neuen Legislatur an Bedeutung verlieren. Die SVP als Wahlsiegerin hätte das Agendasetting und setze auf das Thema Migration. «Dies würde auf andere Parteien Druck aufbauen.» Lutz rechnet damit, dass andere Parteien versuchen werden, mit gewissen Verschärfungen im Migrations- und Asylbereich der SVP den Wind aus den Segeln zu nehmen. «Nach den Klimawahlen 2019 versuchte sich die FDP auch, als Klimapartei zu profilieren.»

Lutz geht jedoch nicht davon aus, dass Umweltthemen unter diesen Umständen einen schweren Stand haben werden. Die Grünen würden immer noch das zweitbeste Wahlresultat ihrer Geschichte erzielen. Die Auswirkungen des Klimawandels seien auch noch in den nächsten zehn Jahren spürbar. «Das Parlament kämpft auf allen Ebenen für mehrheitsfähige Lösungen.» Da die SVP bei der Klimathematik bisher keine konstruktive Rolle gespielt habe, stünde auch ein Rechtsrutsch im Parlament der Klimadebatte nicht im Weg.

Klare Forderungen fehlten bei LGBTQ-Debatte

Auch glaubt Lutz nicht, dass durch Sitzgewinne der SVP der Widerstand gegen LGBTQ-Anliegen im Parlament wächst. «Ich sehe wenig Substanz in dieser Debatte.» Die SVP habe keine klaren Forderungen. «Sie macht ihren Widerstand lediglich an punktuellen Geschichten fest, welche die Gemüter erhitzen.»

Die Kriege in der Ukraine und in Israel werden das neue Parlament laut Lutz wenig beeinflussen. «Die Parteien tun sich schwer, sich mit internationalen Themen zu profilieren, da diese vom Schweizer Alltag sehr weit entfernt sind.» Die grossen Themen in der Schweiz seien aktuell die Gesundheitsversicherung, die Energiewende und die Europapolitik. «Darauf werden sich die Parteien fokussieren müssen.»

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veröffentlicht: 22. Oktober 2023 08:04
aktualisiert: 22. Oktober 2023 08:04
Quelle: Today-Zentralredaktion

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