Suizidaler Sohn

Betroffene Mutter erzählt: «Ich habe gemerkt, dass er leidet»

· Online seit 06.03.2022, 16:31 Uhr
Es gibt Momente im Leben, in denen einem alles zu viel wird: Zu viel Druck, zu wenig sozialer Kontakt, wenn dann noch die Pandemie hinzukommt, kann dies der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Eine betroffene Mutter erzählt, wie sie eine solche Situation mit ihrem suizidalen Sohn erlebt hat.
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Es war ein schleichender Prozess: «Während des Lockdowns hat sich mein Sohn zurückgezogen. Er kam kaum noch aus seinem Zimmer und wurde immer stiller», erzählt Manuela D.*. Ihr ältester Sohn Daniel* hatte nicht nur mit den Einschränkungen durch die Corona-Massnahmen zu kämpfen, sondern ihm fehlten die sozialen Kontakte zu seinen Freunden, die er aufgrund des Onlineunterrichts nicht mehr regelmässig sah. Dazu kam, dass er sich in dieser Zeit als homosexuell outete. Zu viel für den 17-Jährigen, der ein Gymnasium im Kanton Schwyz besucht.

Sohn macht sich Gedanken zu Suizid

«Ich habe gemerkt, dass er leidet», so Manuela. Sie habe sich hilflos gefühlt und alles versucht, um ihren Sohn aus seinem Zimmer zu holen. Bei gemeinsamen Spaziergängen hört sie ihm zu und versucht ihn aus dem Strudel negativer Gedanken zu ziehen. Gleichzeitig macht sich die dreifache Mutter Vorwürfe, weil sie selbst vor über zehn Jahren psychisch erkrankte und unter einer Depression litt. «Ist in dieser Zeit etwas falsch gelaufen oder vergessen gegangen, dass die Kinder beschäftigte?»

Die Krise spitzt sich zu. «Ich habe immer noch das Bild vor mir: Ich kam in sein Zimmer und er lag am Boden. Da habe ich gemerkt, dass er im Leben keinen Sinn mehr sieht.» Die 50-Jährige reagiert – und macht sich auf der Suche nach einem Therapieplatz für Daniel. Schliesslich findet Manuela für ihren Sohn einen Platz in einer Akutstation. Dort verbringt Daniel zwei Monate. Rückblickend die richtige Entscheidung, so Manuela.

Keine Gespräche über Krankheit zu Hause

Wieder zu Hause im Kanton Schwyz haben dann Mutter und Sohn eine Vereinbarung getroffen: Sorgen und Ängste deponiert der 17-Jährige bei seinem Psychologen, zu Hause muss er nicht über seine Depression sprechen. So könne Distanz geschaffen werden. Zwar kann Manuela aufgrund ihrer eigenen Depression nachvollziehen, wie sich eine solche Krankheit anfühlt, trotzdem kann sie nur teilweise helfen: «Mir fehlt das Wissen.» Ausserdem sei sie immer in Alarmbereitschaft gewesen: «Ich habe immer gefragt, wie es ihm geht, und das ist auch nicht immer hilfreich.»

Dies war ein Grund mehr für Manuela, eine Ausbildung als Ersthelferin für psychische Gesundheit zu absolvieren, die im Rahmen des Projekts ensa ausgebildet werden. «Der Kurs gab mir Sicherheit und zeigte, dass ich in vielen Situationen intuitiv richtig gehandelt habe», so die 50-Jährige. Im Kurs wurde in Rollenspiele gelernt, wie man schwierige Themen anspricht und Betroffene ermutigt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. «Ich wollte das Wissen, das ich als Betroffene und Angehörige habe, vertiefen und lernen, wie ich anderen Menschen in einer psychischen Krise helfen kann.»

Ernst nehmen und Hilfe holen

Damit den psychisch kranken Menschen geholfen werden kann, sei es aber auch sehr wichtig, darüber zu sprechen, so die 50-Jährige. «Manchmal hilft es zu wissen, dass man nicht allein ist und es vielen anderen Personen ähnlich geht.» Und ihr Rat an betroffene Eltern: das Kind oder den Jugendlichen Ernst nehmen und möglichst schnell Hilfe holen.

Doch nicht nur für Manuela als Mutter war diese Phase schwierig. Auch die ganze Familie litt unter den Depressionen Daniels. Sie seien auf den Sohn fokussiert gewesen und die beiden Töchter seien zu kurzgekommen. «Wir haben sie nicht bewusst vernachlässigt, aber wir waren ständig mit unserem Sohn beschäftigt», erzählt die dreifache Mutter. Trotzdem habe die Familie die Zeit gut überstanden, geholfen haben die offenen Gespräche mit den Kindern, ist Manuela überzeugt. Offenheit – dass ist das, was die 50-Jährige fordert: «Mit meiner Geschichte möchte ich für das wichtige Thema der psychischen Gesundheit sensibilisieren. Ich wünsche mir, dass akzeptiert wird, dass es psychische Krankheiten gibt.»

*Name der Redaktion bekannt

(hch)

veröffentlicht: 6. März 2022 16:31
aktualisiert: 6. März 2022 16:31
Quelle: PilatusToday

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