Kinderarbeit

Schoggi-Fans kleben am süssen Schein von Lindt&Sprüngli

12.01.2024, 12:00 Uhr
· Online seit 12.01.2024, 10:46 Uhr
Für den Kakao der Schokolade des Zürcher Traditionsunternehmens Lindt&Sprüngli schuften Kinder. Trotzdem bleibt der grosse Aufschrei bei Konsumentinnen und Konsumenten aus. Ein Marketingexperte bedauert «die falsche Normalität».
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Die Schokolade des Zürcher Traditionsunternehmens Lindt&Sprüngli hat einen bitteren Hintergrund. Auf Kakaoplantagen in der Lieferkette des Schokoladenherstellers mit Sitz in Kilchberg sind Betriebe, die Kinderarbeit einsetzen.

Eine Recherche der SRF-«Rundschau» zeigt, wie etwa Buben in Ghana im Alter von sechs und acht Jahren Kakaoschoten einsammeln, statt die Schule zu besuchen. «Wenn ich ihnen den Korb auf den Kopf stelle, schmerzt sie das manchmal. Sie weinen beim Tragen», sagt die Kakaobäuerin und Grossmutter der Kinder. Oft verlassen sich die armen Farmer auf ihre Kinder, um ihre schlechte wirtschaftliche Situation auszugleichen.

Der Werbefilm von Lindt&Sprüngli behauptet derweil das Gegenteil. Die Überwachung und Bekämpfung von Kinderarbeit habe höchste Priorität, heisst es darin. Die Praxis werde regelmässig überprüft und wo möglich würden Massnahmen zur Behebung von Kinderarbeit umgesetzt.

«Wenn sie arbeiten, ist es ja ok»

Dennoch scheint der Schokoladenhersteller seinen süssen Schein wahren zu können. Der grosse Aufschrei bei den Konsumentinnen und Konsumenten bleibt aus. Die Reaktionen auf die Medienberichte sind auf Social Media ungewöhnlich mild.

Da werde ein Unternehmen jetzt wieder, ohne den Hintergrund zu sehen, abgestempelt, kritisiert eine Userin. Sie sei nicht für Kinderarbeit. «Jedoch war ich in Afrika vor Ort und leider müssen da die Kinder so oder so arbeiten, da sie keinerlei Hilfe haben.» Eine Userin befürwortet Kinderarbeit gar: «Wenn sie arbeiten, ist es ja ok ...,aber bitte zu einem angemessenen Lohn, sodass die Familie davon leben kann!!!»

«Schweizer Schokolade kostet Kinderleben»

Andere Stimmen sehen Lindt nicht als Einzelfall. «Und was glaubt ihr: Wer beschafft euch das Material für die Lithiumbatterien eurer E-Autos? Das ist auch nichts anderes als Kinderarbeit», wettert eine Userin. Ein User argumentiert, dass Kinderarbeit noch nicht vor so langer Zeit in der Schweiz auch ein Thema gewesen sei. «Geschweige die der Verdingkinder, die gratis Arbeit geleistet hatten.» Heute dürften Kinder «dank unserem Jugendschutz nicht einmal mehr zu Hause ein Ämtli gegen Bezahlung übernehmen und Verantwortung lernen».

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Jemand findet zur aufgedeckten Kinderarbeit: «Das ist nicht neu. Die ganze Welt weiss, dass Schweizer Schokolade Kinderleben kostet.»

«Man müsste ein klares Statement fordern»

Viel heftiger fielen die Reaktionen aus, als im September 2023 publik wurde, dass der frühere Chef der Schokoladenfirma Läderach Schülerinnen und Schüler misshandelt haben soll. Es kam nicht nur zu Boykottaufrufen. Auch kündigte etwa die SBB die Kooperation mit dem Chocolatier.

«Es überrascht mich, dass seit der Aufdeckung der Kinderarbeit nicht mehr passierte», sagt Marketingexperte Felix Murbach. Man höre und lese praktisch nichts darüber. Im Fall Läderach sei der Aufschrei dagegen riesig gewesen. «Eigentlich müsste man reagieren und ein klares Statement von Lindt&Sprüngli fordern.»

Das Unternehmen wollte sich in der «Rundschau» nicht vor der Kamera zu den Vorwürfen äussern. Es meldete, dass die systemischen Faktoren, die zu Kinderarbeit führten, sehr schwierig zu beeinflussen seien. Die Bekämpfung von Kinderarbeit erfordere Bemühungen von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, lokalen Institutionen, Schulen und Bauern.

«Man sitzt es gut schweizerisch aus»

Felix Murbach vermutet, dass aufgedeckte Kinderarbeit bei Konsumgütern die Menschen heute leider nicht mehr genügend empöre. «Ausbeutung für Konsumgüter ist in unserer Gesellschaft bedauerlicherweise fast zu einer falschen Normalität geworden.» Gleichzeitig blendeten die Konsumentinnen und Konsumenten das Problem aus. «Lindt&Sprüngli ist eine Traditionsmarke, ein Arbeitgeber mitten in Zürich und eine Premium-Marke, bei der sowieso alles ‹gut› ist.»

Auch einen späteren Imageschaden erwartet Murbach nicht. «Man sitzt das Ganze gut schweizerisch aus, bis keiner mehr darüber redet.» So funktioniere es manchmal auch in der Politik, fügt er augenzwinkernd an.

Läderach-Läden seien wieder voll

Grosse Marken erleiden laut Murbach nach Skandalen selten einen langfristigen Imageschaden. 2022 sorgte das Pariser Modelabel Balenciaga für einen Eklat, weil es in seiner Werbekampagne Kinder zeigte, die mit Teddys in Bondage-Kleidung posierten. Als Reaktion darauf verbrannten frühere Kunden ihre Balenciaga-Kleider. Murbach: «Darüber spricht heute niemand mehr. Bei Globus im Parterre beansprucht das Label sogar die grösste Fläche.»

Selbst der Läderach-Skandal sei fast schon vergessen, sagt Murbach. «Die Schoggiläden sind wieder voll.»

veröffentlicht: 12. Januar 2024 10:46
aktualisiert: 12. Januar 2024 12:00
Quelle: ZüriToday

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