Diskriminierung

Antisemitische Vorfälle in der Schweiz nehmen zu

· Online seit 12.03.2024, 05:38 Uhr
2023 ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Deutschschweiz und der italienischen Schweiz in die Höhe geschnellt. Laut dem aktuellen Antisemitismusbericht häuften sich die Vorfälle hierzulande besonders nach den Terrorangriffen der Hamas gegen Israel vom 7. Oktober.
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Im vergangenen Jahr wurden in der Deutschschweiz und in der italienischen Schweiz insgesamt 1130 antisemitische Vorfälle gemeldet oder beobachtet, wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) am Dienstag mitteilten. Im Jahr 2022 waren es noch 910 gewesen.

Die Terrorangriffe der radikalislamischen Hamas vom Oktober 2023 haben laut dem SIG einen «Trigger» (d.h. Auslöser) für die Zunahme solcher Vorfälle dargestellt. Der SIG sprach im Zuge der Bilanz des vergangenen Jahres von einer «regelrechten Antisemitismuswelle», die beispiellos sei im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten.

Mehr Tätlichkeiten und Beschimpfungen

Im Zuge der Terrorangriffe vom 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg im Gaza-Streifen seien, soweit eine Zuordnung möglich gewesen sei, unterschiedliche Gruppen getriggert worden, teilte der SIG weiter mit. Darunter seien sowohl rechts- als auch linksextreme und pro-palästinensische Gruppierungen, genauso wie solche aus der Mitte der Gesellschaft.

Von den zehn im vergangenen Jahr in der Deutschschweiz und der italienischsprachigen Schweiz registrierten Tätlichkeiten gegen jüdische Menschen, also direkte physische Übergriffe, fielen deren sieben auf die Zeit nach den Terrorangriffen. Sieben ereigneten sich alleine im Oktober. Insgesamt wurden 114 von 155 Vorfällen in der realen Welt nach dem 7. Oktober registriert - was 74 Prozent aller Vorfälle in dem Jahr entspricht.

Auch in den Kategorien Schmierereien, Auftritte und Plakate/Banner gab es eine Zunahme nach den Terrorangriffen der Hamas. In der Kategorie Beschimpfungen war die ungleiche Verteilung über das Jahr weniger stark. Trotzdem haben auch diese im Vergleich mit dem Vorjahr 2022 zugenommen - von 16 auf 47 Fälle. Sachbeschädigungen wurden 2023 laut dem SIG keine gemeldet.

Zunahme auch in der digitalen Welt

Auch in der digitalen Welt häuften sich die antisemitischen Vorfälle nach dem 7. Oktober, auch wenn sie im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig zunahmen. 459 von 975 Fällen (2022: 853) ereigneten sich nach dem 7. Oktober - dies entspricht einem Anteil von 47 Prozent aller Vorfälle des Jahres 2023.

Der grösste Teil der beobachteten und gemeldeten Vorfälle entfiel weiterhin auf den Messenger-Dienst Telegram, auch wenn der prozentuale Anteil von 75 Prozent im Jahr 2022 auf 68 Prozent im Jahr 2023 leicht abnahm. Offener Antisemitismus sei dort in vielen Chats ungehindert möglich, ohne dass gelöscht und die User gesperrt würden, schrieb der SIG.

In der Romandie nahmen die antisemitischen Vorfälle im vergangenen Jahr laut der interkommunalen Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (CICAD) um 68 Prozent zu. Fast die Hälfte der Vorfälle ereigneten sich nach dem 7. Oktober. Seit der Eskalation des Konflikts im Nahen Osten im Oktober wurden laut der CICAD monatlich 150 Vorfälle in der Westschweiz gemeldet. Auch im laufenden Jahr seien bereits zahlreiche weitere Meldungen eingegangen.

Tötungsversuch als Zäsur

Insbesondere in der realen Welt habe eine noch nie dagewesene Intensität in der Wortwahl und sogar bei physischen Übergriffen festgestellt werden müssen, stellte der SIG im Bericht über die Deutschschweiz und die italienischsprachige Schweiz fest. Die versuchte Tötung eines Juden in Zürich am 2. März dieses Jahres habe einen Kulminationspunkt dargestellt.

Bei dem Angriff in Zürich Selnau wurde ein äusserlich als jüdisch erkennbarer 50-jähriger Mann Opfer einer Messerattacke eines 15-Jährigen. Der Täter hatte seinen Angriff im Internet angekündigt und sich dort zum Islamischen Staat (IS) bekannt. Diese Tat stelle das schwerwiegendste antisemitische Hassverbrechen in der Schweiz seit zwei Jahrzehnten dar, teilte der SIG mit. Auch im europäischen Vergleich sei die Tat ein Ausnahmeereignis.

Unsicherheit in jüdischer Gemeinschaft steigt

Die Vorfälle und insbesondere derjenige in Zürich Selnau hätten spürbare Auswirkungen auf die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz, schrieb der SIG. Die Unsicherheit sei stark gestiegen. Sich als jüdisch in der Öffentlichkeit zu erkennen zu geben, werde vielfach von Besorgnis, Zurückhaltung bis Angst begleitet. Das sei gesellschaftspolitisch inakzeptabel.

Die Messerattacke in Zürich sei ein Weckruf auch für die Zivilgesellschaft, die mit Gegenrede, Zivilcourage und Dialog reagieren müsse. Vorangehen müssten Politik und Behörden, forderte der SIG. So brauche es eine rechtliche Handhabe gegen Hassrede und den Willen, auf Social Media-Plattformen einzuwirken, damit diese die Verbreitung von Hass unterbinden.

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(sda/roa)

veröffentlicht: 12. März 2024 05:38
aktualisiert: 12. März 2024 05:38
Quelle: ZüriToday

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