Greenwashing?

Zürcher Firma wirbt mit totaler Klimaneutralität – Experte ist skeptisch

09.05.2023, 17:53 Uhr
· Online seit 09.05.2023, 16:58 Uhr
Kann eine Schmuckfirma wirklich 100 Prozent klimaneutral sein? Klimaneutralität ist plötzlich allgegenwärtig. «Es gibt keine Produkte und Unternehmen ohne Fussabdruck», sagt Greenpeace. Und nennt es Irreführung des Konsumenten.
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Der Hinweis ist präsent platziert auf dem Werbeplakat des Online-Schmuckhändlers Bijouteria: ‹100% klimaneutral›. Derzeit werben etliche Produkte und Firmen mit diesem Label. Vom Tilsiter-Käse, über Sigg Flaschen bis hin zu Shampoos – sie alle versprechen Klimaneutralität. Doch was soll das eigentlich genau heissen?

«Mit solchen Zertifikaten oder Labels entsteht beim Kunden der Eindruck, diese Produkte seien umwelt- und klimafreundlich. Das ist Greenwashing», sagt Greenpeace-Sprecher Florian Kasser zu ZüriToday. Nachhaltige Schmuckproduktion sei ein Nischenmarkt und sicher nicht möglich bei einer Kette wie Bijouteria. «Massenproduktion und Massenkonsum sind nie nachhaltig.»

Label kaufen ohne Verpflichtung?

Bijouteria verkündet auf ihrer Webseite, seit 2015 der erste vollständig klimaneutrale Onlineshop der Schweiz zu sein, mit Auszeichnung ‹myclimate – klimaneutrales Unternehmen›. Ein Label, das man sich bei der Stiftung Myclimate, mit Sitz in Zürich, kaufen kann – bislang ohne sich gross für Reduktionsziele zu verpflichten. Damit kann zum Beispiel ein Goldbarrenhersteller jede Tonne CO₂ für weniger als 30 Franken kompensieren.

Ein Ablasshandel, der den Unternehmen und den Kunden ein besseres Gefühl bei Massenkonsum oder hohen CO₂-Emissionen bei der Herstellung bescheren soll? Diese Frage beantwortete Bijouteria nicht, ist sich aber bewusst, dass sich «bedauerlicherweise gewisse Emissionen nicht vermeiden lassen. Diese gleichen wir mit Myclimate aus», sagt ein Bijouteria-Sprecher dazu.

Klimaschutz ist kein Marketing-Trend

Nicht jedes Unternehmen, das einen Beitrag an ein Klimaschutzprojekt bezahlt, werde auch ein Label bekommen, sagt Myclimate-Geschäftsführerin Dellantonio zu ZüriToday: «Ob Event, Unternehmen oder Produkt, sie alle müssen erst nachweisen, dass sämtliche Emissionen berechnet und dann ein Beitrag an ein zertifiziertes Projekt geleistet wurde, und dass Bemühungen für Emissionsreduktionen gemacht werden. Wir verpflichten sie zwar tatsächlich noch nicht zu den Reduktionen, aber künftig wird es wohl eine Voraussetzung sein».

Noch vor wenigen Jahren ging es alleine um die Sensibilisierung zum Thema, da sei Klimaschutz eher ein Marketing-Thema gewesen, wenn man gerade noch Budget übrig hatte. Heute reiche das längst nicht mehr. «Die Unternehmen wollen kein Greenwashing machen, sondern wirklich etwas für den Klimaschutz tun», so Dellantonio. «Denn sie haben erkannt, dass CO₂-Emissionen Risiken sind.» Künftig werden sie CO₂-Bilanzen abliefern und Emissionen reduzieren, sowie für nicht vermeidbare Emissionen bezahlen müssen.

Öffentliche Kritik zeigt Wirkung

Dass die Emissionen trotz des Labels allerdings dennoch da sind, und gerade bei der Schmuckherstellung hoch ausfallen, wird oft verschwiegen. Gemäss PWC Schweiz, Prüfungs- und Beratungsunternehmen, gehört die Beschaffung der Rohstoffe zu den Hauptgründen für den erheblichen ökologischen Fussabdruck der Uhren- und Luxusgüterindustrie. Sie verbrauchen mehr als 50 Prozent der weltweiten jährlichen Goldproduktion. Über 2000 Tonnen, die mit hohen CO₂-Emissionen verbunden sei.

Nun scheint die öffentliche Kritik an den verwirrenden Aussagen der kaufbaren Labels Wirkung zu zeigen: Myclimate streicht ihr ‹klimaneutral›-Label. Ende 2022 hat die Stiftung das neue Label ‹Wirkt. Nachhaltig› lanciert. Zudem streiche man das Wort ‹Kompensation› auf allen Kanälen.

«Wir sägen an unserem eigenen Ast»

Wie kann man denn wirklich etwas fürs Klima tun und nachhaltig verändern? «Indem weniger, dafür langlebigere neue Produkte auf den Markt gesetzt werden. Unser Konsum von Neuwaren, an den wir uns leider gewöhnt haben, müssen wir reduzieren», sagt Florian Kasser von Greenpeace. Kein Produkt und keine Dienstleistung sei ohne biologischen Fussabdruck. Wenn weiterhin so viele Konsumgüter wie zum Beispiel Kleider verbraucht würden, wird es auch nicht helfen, dafür etwas vermeintlich Gutes zu verwenden, wie beispielsweise Biobaumwolle. «Das Problem bleibt trotzdem bestehen», so die Umweltorganisation.

Die Menschen würden an ihrem eigenen Ast sägen, an der Lebensgrundlage unseres Planeten. «Es ist zwingend nötig, dass jeder einzelne von uns umdenkt und sein Konsumverhalten hinterfragt. Greenpeace versucht, die Mächtigen in die Pflicht zu nehmen: Leute am grossen Hebel, wie Unternehmen und Entscheidungsträger. Werbung muss stark reglementiert werden, um zu vermeiden, dass der Konsum angeheizt wird», führt Florian Kasser aus. Ein Switch von ‹100% klimaneutral› zu ‹Wirkt. Nachhaltig› reiche da nicht, und sorge für Verwirrung.

«Wir wollen dem Klima nicht schaden»

Bijouteria will die ‹100% klimaneutral›-Werbung nicht aufgeben, die Benennung sei auf diese Weise noch zulässig, man habe dies abgeklärt. «Ob wir dies in Zukunft ändern müssen, und wie es dann genannt wird, ist noch unklar. Aber wichtig ist ja vor allem, dass wir den Planeten schonen und dem Klima nicht schaden, wie auch immer man das dann nennt», lässt Bijouteria verlauten.

Sollte der Schmuckhändler längerfristig allerdings nichts ändern wollen, und am alten Label festhalten, passe das Unternehmen wohl nicht mehr zur Stiftung, denn hinter ‹100% klimaneutral› könne Myclimate nicht mehr stehen, ergänzt Geschäftsführerin Dellantonio.

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veröffentlicht: 9. Mai 2023 16:58
aktualisiert: 9. Mai 2023 17:53
Quelle: ZüriToday

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