Muslimische Seelsorge in Zürich

«Wir beraten in allen möglichen Fällen – sogar bei Abtreibungen»

· Online seit 14.06.2022, 18:10 Uhr
Muris Begović weiss gut, was die islamische Bevölkerung im Kanton beschäftigt: Er ist der Geschäftsführer der Muslimischen Seelsorge Zürich. Zusammen mit seinen Angestellten hilft er Musliminnen und Muslimen in allen Lebensumständen – auch jenen in Asylzentren.

Quelle: ZüriToday / Lea Hilff

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Rund sieben Prozent der Bevölkerung im Kanton Zürich sind islamischen Glaubens – sie sind hier geboren, aufgewachsen oder erst kürzlich hierhin gezogen, sie sind in einem islamischen Zuhause grossgeworden oder konvertiert. Der Bezug zur Religion ist für viele ganz unterschiedlich. Stecken sie in einer schwierigen Lebenssituation, dann können sie sich an die Muslimische Seelsorge wendet.

Gegründet wurde dieser gemeinnützige Verein von der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) und vom Kanton. Der Auftrag der Muslimischen Seelsorge Zürich ist, muslimische Menschen im Kanton zu begleiten und zu unterstützen. Das Angebot ist bisher rege genutzt worden: Im Jahr 2021 fanden 173 Telefongespräche und 29 Email-Konversationen statt, hinzu kamen 319 Gespräche in öffentlichen Institutionen.

«Mitfühlen statt mitleiden»

Solche Einsätze auf Abruf spielen sich vor allem in Spitälern, in Alters- und Pflegeheimen, aber auch in Asylzentren ab – eben dort, wo Leid, Sorgen und Trauer ein steter Begleiter sind. So braucht es je nach Situation schon mal eine dicke Haut, erzählt Muris Begović, der Geschäftsführer des Vereins. «Wir Seelsorger achten deshalb darauf, dass wir zwar mitfühlen, nicht aber mitleiden. Wenn wir die Probleme anderer zu unseren eigenen machen würden, wäre den Betroffenen auch nicht geholfen.»

Diesen feinen Unterschied einzuhalten sei aber nicht immer so einfach, gesteht der 41-Jährige. «Zu Beginn der Tätigkeit ist man da sicher ein wenig überfordert, man muss viele Emotionen und Eindrücke verarbeiten.» Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm der Fall zweier junger Personen, deren Mutter im Spital war. Sie hatten zu entscheiden, ob die lebenserhaltenden Massnahmen eingestellt werden sollten oder nicht.

Die Sorgen können sehr unterschiedlich sein

Begović und sein Team versuchen in solchen Momenten jeweils, alle relevanten Aspekte mit den Angehörigen zu besprechen. «Interreligiös und interprofessionell» nennt er das: «Wir versuchen, nicht nur eine strikt muslimische, sondern auch eine christliche oder eine Sichtweise abseits der Religion aufzuzeigen. Und wir führen Gespräche mit den Ärzten. Der medizinische Aspekt soll auch berücksichtigt werden.» Was aber immer gelte: Eine einzige richtige Lösung gibt es nicht.

Die einzelnen Sorgen können denn auch von Familienproblemen über Diskriminierung bis hin zu Scham- oder Schuldgefühlen reichen. Und natürlich spielt auch der Islam immer wieder eine Rolle: «Einmal habe ich zwei eher säkularen Muslimen geholfen, die nicht genau wussten, inwiefern sie ihren verstorbenen Vater nach genauem islamischem Ritual beerdigen sollten.» In solchen Fragen kann Begović dann jeweils auch auf sein Wissen als Imam zurückgreifen.

Seelsorgende arbeiten ehrenamtlich

Als solcher arbeitete er in der bosnischen Moschee in Schlieren, bevor er mithalf, die Islamische Seelsorge aufzubauen. Nun gibt es sie schon seit rund fünf Jahren. 24 Stunden am Tag, das ganze Jahr hindurch ist sie erreichbar, in möglichst allen relevanten Sprachen, sei es albanisch, bosnisch oder türkisch. «Viele muslimische Menschen hierzulande bevorzugen ein Gespräch in ihrer Muttersprache», so Begović. «Sie sind mit ihrer Herkunft immer noch sehr verbunden.»

Die 17 Seelsorgenden leisten ihre Arbeit auf ehrenamtlicher Basis. «Ihre Motivation ist klar intrinsisch. Für sie alle ist die Tätigkeit eine Herzensangelegenheit.» Begovićs Wunsch für die Zukunft sei aber, seinen Mitarbeitenden eines Tages eine Entschädigung auszuzahlen und ihnen ein fixes Pensum zu ermöglichen, so wie es in den Bundesasylzentrum bereits der Fall ist. Dort arbeiten muslimische Seelsorgende in einem Teilpensum – und führen weit über 1000 Gespräche im Jahr. Für Begović ist das ein klares Zeichen: «Es braucht uns.»

veröffentlicht: 14. Juni 2022 18:10
aktualisiert: 14. Juni 2022 18:10
Quelle: ZüriToday

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