Unihockey im Krieg

«Trainer gehen für die Trainings bis in besetzte Gebiete»

· Online seit 09.05.2022, 07:24 Uhr
Das Unihockey-Projekt vom Verein «floorball4all» in der Ukraine wird derzeit vom Krieg erschüttert. Der Gründer und der Präsident des Vereins sprechen über traurige Schicksalsschläge, anhaltende Hoffnung und unvergleichlichem Zusammenhalt.
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«In der ostukrainischen Stadt Melitopol sind 70'000 Menschen eingeschlossen und dürfen die Stadt nicht mehr verlassen. Darunter auch einige der Unihockey-Nationalspieler», erzählt Hansjörg Kaufmann. Vor 17 Jahren gründete der Zürcher in Dürnten den Verein «Unihockey für Strassenkinder» oder auch «floorball4all». Damit soll auf der ganzen Welt Kindern in schwierigen Verhältnissen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung geboten werden.

Unihockey-Familie in der Ukraine wächst

Drei Jahre nach der Gründung starteten die ersten Unihockey-Projekte in der Ukraine. Seither ist die Familie in der Ukraine gewachsen. Im ganzen Land finden Trainings und Wettbewerbe statt. An Unihockey ist in diesen Tagen aber nur schwer zu denken. Es herrscht Krieg.

«Es macht mich sehr traurig, wenn ich denke, was in der Ukraine über die vielen Jahren entstehen durfte und jetzt einfach nicht mehr da ist», bedauert Kaufmann. Vor allem im Osten der Ukraine wuchs das Unihockey-Netzwerk stetig. Dank ihm bleibt auch Vorstandsmitglied Benjamin Lüthi immer auf dem neusten Stand. Er ist zudem Landesverantwortlicher für die Ukraine: «Wir wissen von den meisten Trainern, wo sie im Moment sind und wie es ihnen geht. Nur bei wenigen haben wir gar nichts gehört."

Todesfälle im Unihockey-Umfeld

Doch Kaufmann und Lüthi erreichen auch immer wieder schockierende Nachrichten. «Ein Spieler nahe Mariupol wurde durch einen Querschläger einer Rakete tödlich verletzt», erzählt Kaufmann. Zudem sei ein Transport von ihren Leuten von Raketen beschossen worden. «Die Fahrzeuge waren komplett ausgebrannt. Beide Insassen landeten im Spital. Ich weiss nicht genau, wie es ihnen geht», erzählt Kaufmann weiter.

Der Krieg wütet in vielen Regionen, in denen auch Benj Lüthi schon oft Projekte durchgeführt hat. So auch in Butscha dem Vorort von Kiev. Der Ort wurde für sein schreckliches Massaker bekannt. «In Butscha stand eine der fortschrittlichsten Turnhallen des ganzen Landes. Ähnlich wie bei uns in der Schweiz. Die ist nun komplett zerstört», berichtet Lüthi. Auch seine Kinder waren schon mit ihm dort. «Da wird einem die Zerstörung so richtig bewusst. Wir hatten einige schöne Momente dort. Das tut schon weh.»

Unihockey-Netzwerk ist in Takt

Ganz auf Null zurück fallen die Projekte von «floorball4all» aber dennoch nicht. «Wir sind uns bewusst, dass wir nach dem Krieg wieder einige Zeit investieren müssen, um das alles wieder aufzubauen. Das Netzwerk besteht aber nach wie vor», meint Benj Lüthi.

Und genau dieses Netzwerk gibt den Menschen vor Ort Hoffnung in dieser schwierigen Zeit. «Die Vernetzung hilft enorm in dieser Krise. Es ist super, wenn man ein Netzwerk hat, auf das man sich verlassen kann. Jeder der aus dem Osten flieht, hat irgendwo in der Unihockey-Familie  Bekannte im Westen, zu denen er gehen kann.»

Trainings in besetzten Gebieten

Diese Vernetzung geht aber auch über die Landesgrenze hinaus. Der Landesverantwortliche der Ukraine hat seine Familie beispielsweise beim Landesverantwortlichen in Rumänien untergebracht. So kann er nun Tag und Nacht den Menschen in der Ukraine helfen.

Einige aus Melitopol veranstalten sogar bereits wieder Trainingsstunden in besetzten Gebieten. Auch der immer wiederkehrende Fliegeralarm und die russischen Truppen können daran nichts ändern. Auch «floorball4all» versucht sein Möglichstes zu tun. Der Verein sammelt Geld für die Menschen in der Ukraine. 110'000 Franken kamen dabei bereits zusammen.

Hilflos und doch zuversichtlich

«Es tut gut, wenn man helfen kann. Aber natürlich fühlt man sich oft zu weit weg.» So merkt Lüthi manchmal wie gute Freunde von ihm in der Ukraine langsam müde werden. Dennoch bleibt der Präsident des Vereins zuversichtlich. «Diese Situation könnte auch die Vision vor Ort stärken, weil sie vielleicht auch merken, wie nachhaltig die Arbeit ist, die wir alle zusammen leisten».

In der Stadt Melitopol zwischen dem Krim und Mariupol ist der grösste Stützpunkt des Unihockey-Netzwerk von «floorball4all». Dort beobachten Kaufmann und Lüthi viel gegenseitige Unterstützung. «In Melitopol machen sie trotz der prekären Situation sehr gute Arbeit. Einige Ukrainer gehen dafür bis ans Rebellengebiet heran. Es zeigt, dass unsere Vision lebt.»

veröffentlicht: 9. Mai 2022 07:24
aktualisiert: 9. Mai 2022 07:24
Quelle: ZüriToday

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