Entscheid des Nationalrats

Tiefere Strafen, mehr Raser? «Das Gesetz muss abschrecken»

10.03.2022, 13:08 Uhr
· Online seit 10.03.2022, 10:49 Uhr
Der Nationalrat hat dafür gestimmt, Strafen für Raser zu lockern. Der Zeitpunkt dafür ist heikel – im Kanton Zürich haben die Raserunfälle nämlich zugenommen, sagt ein Staatsanwalt.

Quelle: TeleZüri / Sendung vom 25. November 2021

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Der Fall sorgte für Aufsehen: Am 5. Oktober 2019 kracht in Dietikon ein 20-jähriger Kosovare mit einem 600 PS starken BMW frontal in einen entgegenkommenden Ford. Eine Mutter und ihre 4-jährige Tochter, die sich darin befinden, werden lebensgefährlich verletzt. Der Junglenker habe vor dem Aufprall den Sicherheitsassistenten an seinem Auto deaktiviert und dieses weit übers Tempolimit beschleunigt, lautet der Vorwurf. Für ihn gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

Michael Huwiler, Leiter Strassenverkehr der Zürcher Staatsanwaltschaft, hatte den Fall damals untersucht und Ende November 2021 Anklage gegen den Dietiker erhoben. Alleine im letzten Jahr hat er rund 180 Strafuntersuchungen wegen Verdacht auf Raserdelikte eröffnet. «Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr», so Huwiler. So ist es im vergangenen Oktober innerhalb von 20 Tagen allein im Kanton Zürich zu fünf Raserunfällen gekommen. Dabei wurden zwölf Fahrzeuge beschädigt und fünf Personen verletzt.

Aufhebung der Mindeststrafe wurde klar angenommen

Unter anderem wegen der Gefahr von schweren Unfällen sei es äusserst wichtig, dass Rasende weiterhin konsequent bestraft werden, so Huwiler. Diese Überzeugung scheint man in Bundesbern nur bedingt zu teilen. In seiner Frühjahrssession hat der Nationalrat am Mittwochnachmittag nämlich über die «Via Sicura» beraten – und dafür gestimmt, dass sie aufgelockert wird. Die «Via Sicura» ist ein Verkehrsmassnahmenkatalog des Bundes und regelt die Strafen für Raserdelikte. Diese sehen aktuell noch wie folgt aus:

Der Nationalrat hat sich nun mit 148 zu 38 Stimmen bei zwei Enthaltungen dafür ausgesprochen, das Mindestmass von einem Jahr Freiheitsstrafe aufzuheben. Damit folgt er dem Beschluss seiner Verkehrskommission von Anfang Februar. Des Weiteren wird die Mindestdauer des Fahrausweisentzugs von zwei Jahren auf ein Jahr reduziert. Die Kommission hatte diesbezüglich gar bloss sechs Monate vorgesehen. Am Mittwoch in der grossen Kammer scheiterten sie damit mit 94 zu 92 Stimmen bei zwei Enthaltungen nur knapp.

Im Februar, als sich aufgrund der Kommissionsbeschlüsse bereits abzeichnete, dass der Nationalrat Folge leisten würde, hatte Huwiler nur wenig Verständnis dafür gezeigt: «Ich erlebe hautnah mit, wie Raser mit ihren Tempoexzessen nicht nur sich, sondern auch andere gefährden.» Die Lockerungen der Strafnormen würden ein falsches Zeichen senden – an bisherige, aber auch an potenzielle Täter. Huwiler betonte auch die abschreckende Wirkung: «Wie bei jedem Delikt, hängt diese auch bei Raserdelikten primär von zwei Faktoren ab: Erstens, wie gross ist die Chance erwischt zu werden und zweitens, wie hoch ist die zu erwartende Strafe?»

Raser bleiben meist auf freiem Fuss

In Bezug auf die Aufhebung der Mindestfreiheitsstrafe hatte Nationalrat Philippe Bregy (Die Mitte), der Mitglied der Verkehrskommission ist, anfangs Februar argumentiert, dass die Gerichte mehr Spielraum bei den jeweiligen Urteilen haben müssten. «Ein junger Raser, der mit seinem getunten Auto ein Strassenrennen macht, ist nicht zu vergleichen mit einem werdenden Vater, der seine in den Wehen liegende Frau zu schnell ins Spital fährt», sagte Bregy gegenüber SRF.

Huwiler sagte dazu, dass Gerichte jetzt schon sämtliche Tatumstände im Detail berücksichtigen würden. Dass sie Raser wirklich ins Gefängnis schicken, sei dabei eher die Ausnahme als die Norm. «Meist wird eine bedingte Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von zwei Jahren ausgesprochen», erklärte der Staatsanwalt. Mindeststrafen würden zudem nicht nur bei Raserdelikten, sondern auch bei anderen Straftaten abseits der Strasse zum Zug kommen.

Neben Huwiler hatte sich auch RoadCross Schweiz gegen Straflockerungen ausgesprochen. Rasen tue man immer vorsätzlich und dies müsse so bestraft werden, schrieb die Stiftung vergangenen Monat in einer Medienmitteilung. Der Nationalrat hat dies offensichtlich anders gesehen. Gegenüber dem «Berner Oberländer» hatte RoadCross denn auch schon angekündigt, im Falle einer Annahme womöglich das Referendum gegen die Gesetzesänderung zu ergreifen.

Der Prozess gegen den Dietiker Junglenker findet nun Anfang Juni 2022 am Bezirksgericht Dietikon statt.

veröffentlicht: 10. März 2022 10:49
aktualisiert: 10. März 2022 13:08
Quelle: ZüriToday

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