Klimagenossenschaft

Wohnen mit fixem CO₂-Budget – wird Zürich zum Labor für die Zukunft?

· Online seit 19.08.2022, 17:01 Uhr
Weniger reisen, dafür mehr Tiktok? In Zürich soll eine neue Wohnsiedlung das klimafreundliche Leben erproben. Für die Bewohnerinnen und Bewohner soll dabei ein fixes CO₂-Budget gelten. Das bedeutet Verzicht. Die Initianten sind aber überzeugt, damit ein Modell für die Zukunft zu schaffen.
Anzeige

Gleich neben dem Zürcher Hauptbahnhof liegt ein Carparkplatz. Und dieser Carparkplatz soll Ort eines klimapolitischen Experiments werden. Zumindest, wenn es nach den Plänen des grünen Gemeinderats Dominik Waser und des Wohnaktivisten Hans Widmer geht. Wo heute Touristen aus- und einsteigen, wollen Widmer und Waser schon in wenigen Jahren eine Siedlung mit einem fixen CO₂-Budget errichten.

Fixes Budget, das bedeutet, alle Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung verfügen über ein Maximum, das sie pro Jahr an CO₂ ausstossen dürfen. Um in die Siedlung einzuziehen, müsste man also einiges aufgeben, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt: regelmässiges Reisen zum Beispiel, tägliches Fleischessen, ein eigenes Auto, mehrere Zimmer Wohnraum oder das ständige Surfen im Internet.

Netto-null auch auf privater Ebene

Anstoss des Projekts ist eine Lücke im städtischen Netto-null-Vorhaben. Ihm zufolge soll Zürich bis 2040 den CO₂-Ausstoss auf null drücken. Rund 75 Prozent des Ausstosses, den die Zürcherinnen und Zürcher verursachen, entstehen aber ausserhalb der Stadt. Diese Lücke möchten Waser und Widmer durch eine neue, sparsame Lebensweise schliessen. Dafür bräuche es ein Labor, eben die geplante Siedlung beim HB.

Wie würde das feste Emissionsbudget in der Praxis aussehen? Bewohnende der Siedlung müssten ihren Konsum gemäss dem vorgegebenen Kontingent einschränken. «Wie sie dieses Kontingent verbrauchen, können sie selber bestimmen», wird Hans Widmer zitiert. Wer kein Fleisch esse, könne zum Beispiel weiter mit dem Zug fahren. Wer nicht reise, dürfe dafür länger Filme im Internet ansehen. Brauche man das eigene Guthaben nicht auf, könne man den Rest an die Genossenschaft abtreten. Oder ihn für das folgende Jahr aufsparen.

Verzicht mit Vorteilen

Kontrollieren würde sich jeder Bewohner selber, so der Plan. Was passiere, wenn jemand sein Guthaben überziehe, müsse die neue Genossenschaft entscheiden – also alle Mitglieder gemeinsam. Die Bedingungen müssten einfach von Anfang an klar sein, sagt Widmer.

Zum Alltag hinter dem Hauptbahnhof würde auch das Erledigen gewisser Aufgaben gehören, das Jäten auf dem zur Genossenschaft gehörenden Bauernhof etwa, die Betreuung von Kindern und alten Menschen, das Gemüserüsten in der Grossküche. Rund drei Stunden pro Woche soll jede Person dafür aufwenden, geregelt in einem Teilzeitarbeitsvertrag.

Das klingt nach viel Verzicht – sowohl auf Konsum als auch auf Freiheit. Trotzdem sind die Initianten überzeugt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner unter dem Strich gewinnen. Kompensiert werden soll der Verzicht durch gemeinsam genutzte Räume wie Küchen oder Werkstätten. Leihautos oder Cargobikes sollen allen zur Verfügung stehen.

Beitrag zum Klimaschutz

«Gleichzeitig erhält man Möglichkeiten, die man heute nicht hat», verspricht Hans Widmer. Und man könne einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Der bescheidene Verbrauch und das kollektive Mithelfen sollen das Wohnen ausserdem deutlich verbilligen.

In den nächsten Wochen will Waser eine Motion einreichen, die einen Neubau für die Klimagenossenschaft verlangt. Die Idee dafür hat die Genossenschaft Nena1 über Jahre entwickelt, unterstützt von anderen Genossenschaften wie Dreieck und Kraftwerk1. Der Carparkplatz soll dabei übrigens nicht verschwinden. Um eine Debatte zur Zukunft des Busbahnhofs zu vermeiden, möchten die Initianten diesen ins Projekt aufnehmen.

(osc)

veröffentlicht: 19. August 2022 17:01
aktualisiert: 19. August 2022 17:01
Quelle: ZüriToday

Anzeige
Anzeige
zueritoday@chmedia.ch