Wer viele Menschen auf engem Raum vermeiden will, sollte sonntags keine Supermärkte an Bahnhöfen und Flughäfen aufsuchen. Abgesehen von Tourismus-Gemeinden in den Bergen sind es die einzigen Orte, in denen Coop, Migros und Co. sonntags Personal beschäftigen dürfen. Läden in den Quartieren hingegen sind sonntags geschlossen. Zumindest bis jetzt.
Nun wagt die Migros eine Premiere. Seit Mitte Oktober ist ihre Quartier-Filiale beim Zürcher Toblerplatz auch sonntags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Von Montag bis Samstag wird der Laden mit Personal betrieben. Am Sonntag funktioniert er autonom. Kundinnen und Kunden können den Laden betreten, indem sie ihre Cumulus-, Debit- oder Kreditkarte scannen. Ihren Einkauf bezahlen sie an einer Self-Checkout-Kasse. Weil kein Personal anwesend ist, gibt es keinen Konflikt mit dem Arbeitsgesetz des Bundes, das die Sonntagsarbeit im Detailhandel grundsätzlich verbietet.
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Zwar betreiben die Migros-Genossenschaften Zürich und Ostschweiz bereits Automatenläden des Formats Teo, die an 24 Stunden pro Tag autonom nutzbar sind. Die Filiale in der Stadt Zürich ist aber der erste klassische Supermarkt, in dem die Migros das selbstständige Einkaufen an sieben Tagen in der Woche ermöglicht.
Von Kanton zu Kanton verschieden
Mit den ersten beiden Sonntagen, an denen die Kundschaft diese Möglichkeit nutzen konnte, sei die Migros «sehr zufrieden», sagt Migros-Sprecherin Carmen Hefti. Aktuell seien keine weiteren ähnlichen Eröffnungen geplant. Die Genossenschaften würden aber die Marktentwicklung beobachten und sich austauschen. Der Sonntagsverkauf sei vor allem in urbanen Gebieten ein «grosses Bedürfnis», sagt Hefti. Das zeige sich etwa an den Bahnhöfen.
Hat die Migros nach jahrelangem und wenig erfolgreichem Kampf um längere Öffnungszeiten die Lösung gefunden, künftig auch Filialen in Quartieren oder Industriegebieten sonntags öffnen zu können? Die Antwort darauf lautet: Das hängt vom Kanton ab. In Zürich dürfen Läden mit einer Verkaufsfläche von unter 200 Quadratmetern sonntags öffnen. Die betroffene Migros-Filiale fällt mit 175 Quadratmetern unter diese Regelung. In St.Gallen oder Bern liegt die Grenze bei 120 Quadratmetern.
Normale Quartier-Filialen von Coop oder Migros sind mit Flächen zwischen zirka 400 und 700 Quadratmetern meist deutlich grösser. In einigen Kantonen wie Basel-Landschaft oder Aargau, die kein Ladenöffnungsgesetz mehr haben, könnten auch solche Filialen in einem Automatenbetrieb sonntags geöffnet sein.
Konzept scheitert an Vandalen
Auf hybride Läden, die tagsüber von Personal betrieben und in Randstunden oder sonntags mittels App autonom genutzt werden können, setzt auch die Handelsgruppe Valora mit ihrem Konzept Avec 24/7. Vom namensgebenden 24-Stunden-Betrieb ist Valora allerdings in den meisten Fällen abgekommen, auch wegen Vandalismus.
Ein ähnliches Schicksal ereilte das Konzept Go24 von Spar. Eine Testfiliale am Zürcher Sihlquai, die in der Nacht autonom benutzt werden konnte, wurde so oft beschädigt und verschmutzt, dass sie nun nur noch tagsüber und werktags geöffnet ist. Ganz aufgeben will Spar die Idee nicht: Vereinzelt habe das Konzept von Automatenläden «sicherlich Chancen», sagt eine Sprecherin. Aktuell gebe es aber keine Pläne.
Bei Coop sind Läden ohne Personal kein Thema. Der persönliche Kontakt sei wichtig, sagt Sprecher Caspar Frey. Coop betreibt in mehreren Bahnhöfen, Tourismusorten und am Flughafen Zürich Supermarkt-Filialen, die sonntags geöffnet sind.
Zürich will mehr Sonntagsverkäufe
Ebenfalls kein Thema sind autonome Filialen bei Lidl. Der Detailhändler öffnet seine Läden an den gesetzlich erlaubten Sonntagsverkäufen, also je nach Kanton an zwei bis vier Sonntagen pro Jahr. Diese Tage seien «stark nachgefragt», sagt Sprecher Sandro Kissayi. Ganzjährig sonntags geöffnet sind Lidl-Filialen im Berner Bahnhof und in Matten bei Interlaken. Aldi betreibt zwei sonntags geöffnete Filialen an den Bahnhöfen Biel und Zürich-Stadelhofen und öffnet vereinzelt Läden in Tourismusgebieten am Sonntag.
Auf Automatenläden verzichtet Aldi. Diese haben sich bisher nicht grossflächig durchgesetzt. Auch grosse internationale Anbieter wie Amazon traten zuletzt auf die Bremse. Denn während Personalkosten entfallen, sind die Investitionen in die Technologie hoch. Gleichzeitig kommt es öfter als in bedienten Filialen zu Diebstählen und Beschädigungen, und Menschen kaufen im Automatenladen tendenziell weniger ein.
Auf politischer Ebene gehen die Bemühungen vor allem bürgerlicher Politiker denn auch in die Richtung, generell mehr Sonntagsverkäufe zu erlauben. Im Frühling nahm der Nationalrat etwa eine Motion an, die fordert, dass kleine lokale Läden überall im Land sonntags öffnen dürfen.
Sonntagsöffnung in grossen Städten
Der Bund prüft ausserdem die Anpassung einer Verordnung zum Arbeitsrecht. Das soll grossen Städten die Möglichkeit eröffnen, Tourismuszonen zu schaffen, in denen die Läden sonntags Personal beschäftigen dürfen. In einer ersten Fassung wollte der Bundesrat diese Möglichkeit auf Läden beschränken, die den Bedürfnissen des Tourismus dienen, also etwa Uhren, Luxuskleider oder Lebensmittel verkaufen. Sie soll nur Städten mit über 60'000 Einwohnerinnen und Einwohnern offenstehen, in denen über 50 Prozent der Hotellogiernächte von Gästen aus dem Ausland kommen. Diese Kriterien erfüllen würden Zürich, Genf, Luzern, Basel, Bern und Lugano, wobei Basel und Bern bereits mitgeteilt haben, dass sie keine solchen Zonen schaffen wollen.
Gegen diese Verordnungsänderung könnte kein Referendum ergriffen werden. Allerdings müssten in vielen Kantonen die Ladenöffnungsgesetze angepasst werden, um solche Zonen zu schaffen. Dagegen könnten Liberalisierungsgegner politisch vorgehen. Ob Bundesrat Guy Parmelin (SVP) die Liberalisierung durchzieht und ob es bei den vorgesehenen Regeln bleibt, ist offen. Er verknüpft dies mit einem anderen Geschäft: einer Standesinitiative des Kanton Zürich, die fordert, dass die Zahl der möglichen Sonntagsverkäufe von 4 auf 12 erhöht wird. Die Kommission des Ständerats hat die Forderung diese Woche unterstützt. Parmelin will erst einen Entscheid zu Tourismuszonen fällen, wenn klar ist, ob dem auch die nationalrätliche Kommission folgt. Das teilt ein Sprecher mit.
In Tourismusorten in den Bergen dürfen Läden bereits heute sonntags öffnen. Erlaubt ist dort die Sonntagsöffnung gemäss Gesetz während der Saison, wobei laut einem Bundesgerichts-Urteil nicht das ganze Jahr als Saison definiert werden darf. Nicht alle halten sich daran. So sind etwa in Zermatt viele Läden ganzjährig sonntags geöffnet. Nicolas Bolli, der für Arbeitnehmerschutz zuständige Dienstchef des Kanton Wallis, teilt mit, die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Detailhandel an Sonntagen in der Nebensaison bleibe «ein aktuelles Thema». Zur Klärung der Situation würden derzeit die notwendigen Daten über die Besucherzahlen zusammengetragen.
Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsöffnung gibt es in den meisten Kantonen auch für Tankstellenshops, Bäckereien, Blumenläden, Kioske oder Confiserien. In diesen Läden darf sonntags auch gemäss dem Arbeitsrecht des Bundes Personal beschäftigt werden. Nicht unter das Verbot der Sonntagsarbeit fallen zudem Familienbetriebe, solange nur die Inhaberin oder der Inhaber, Ehegatten, eingetragene Partner oder Verwandte in auf- und absteigender Linie im Geschäft tätig sind. (aargauerzeitung.ch)