Zürcher Orte gestern und heute

Der Münsterhof – Marktplatz, Mordplatz, Parkplatz

· Online seit 07.08.2022, 08:53 Uhr
Wer heute auf dem Zürcher Münsterhof verweilt, ahnt wenig von der bewegten Geschichte des mittelalterlichen Platzes. Dabei prallten an diesem Ort immer wieder unterschiedliche Interessen gewaltsam aufeinander. Drei Ereignisse stechen dabei besonders heraus.
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Der Münsterhof ist geradezu typisch für einen Altstadt-Platz. Mit dem Fraumünster wirft eine altehrwürdige, mittelalterliche Kirche einen langen Schatten auf seine Pflastersteine. Ringsum stehen repräsentative Gebäude, die Zeugnis der Zürcher Geschichte ablegen. Ein Brunnen plätschert. Das ganze Ambiente strahlt eine Beschaulichkeit aus, die im Kontrast zum Rest der Stadt steht: zur geschäftigen Bahnhofstrasse, zum hektischen HB oder zur quirligen Langstrasse. Doch der Schein trügt. Der Münsterhof war über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen.

Die Mordnacht von Zürich

Der Münsterhof entstand nach Angaben des Archäologen Dölf Wild in der Zeit um 1300. Schon relativ kurze Zeit später kam es auf dem Platz zu einem äusserst blutigen Ereignis. In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1350 fanden auf dem Münsterhof die Strassenkämpfe zwischen den Parteien der «Mordnacht von Zürich» statt. Auslöser war eine langjährige Fehde, die im Zusammenhang mit der städtischen Zunftverfassung und den Schweizer Habsburgerkriegen stand.

Beteiligt an der Mordnacht waren auf der einen Seite aus Zürich verbannte Ratsmitglieder, die Stadt Rapperswil, das ihnen Asyl gewährt hatte, und deren Verbündete. Sie wollten die Stadt im Handstreich einnehmen. Auf der anderen Seite standen die Stadt Zürich und mit ihr verbündete Adelsgeschlechter. Der Konflikt hatte langjährige Scharmützel zur Folge, die zur Mordnacht, zur Inhaftierung von Graf Johann II. von Habsburg-Laufenburg und zur Zerstörung von Rapperswil durch Zürcher Truppen führten.

Aus den Wirren um die Zunftverfassung gingen die Habsburger schliesslich als Sieger hervor. Ihre Vormachtstellung in der Nordschweiz wurde gefestigt und die Kontrolle über die Rapperswiler Besitzungen verblieb bis 1458 bei Habsburg. Dem Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun gelang es durch geschicktes Taktieren immerhin, die Niederlage der Stadt in einen persönlichen Sieg umzuwandeln. 28 Menschen sollen durch das Gefecht in Zürich das Leben verloren haben.

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Die Landbevölkerung lehnt sich gegen die liberale Stadt auf

Zum nächsten grossen Knall auf dem Münsterhof kam es während der sogenannten Regenerationszeit nach den napoleonischen Kriegen. Im Spätsommer 1839 eskalierte eine politische Kontroverse in einen bewaffneten Zusammenstoss zwischen Miliztruppen der Zürcher Regierung und der demonstrierenden Landbevölkerung. Auf dem Münsterhof prallten die Konfliktparteien aufeinander.

Auslöser dieses sogenannten «Züriputschs» war die Berufung des liberalen Theologen David Friedrich Strauss zum Professor an der 1833 gegründeten Universität Zürich. Diese Berufung hatte eine starke Gegenreaktion der konservativen Opposition auf dem Land zur Folge. Am 6. September 1839 fielen Schüsse. Opfer waren 14 Putschisten sowie der Arzt und Regierungsrat Johannes Hegetschweiler.

Durch die Berichterstattung der Medien über diesen Umsturz gelangte das ursprünglich nur in der Schweiz verwendete Wort «Putsch» (= Zusammenstoss) in den weiteren deutschen Sprachraum. Es wird heute allgemein für gewaltsame und überraschende Aktionen verwendet, mit denen eine Regierung gestürzt und die Macht im Staat übernommen werden soll.

Ein rätselhafter Schuss während des Landesstreiks

Die bislang letzten grossen Auseinandersetzungen auf dem Münsterhof liegen gute 100 Jahre zurück. In den finalen Tagen des Ersten Weltkriegs, im November 1918, kam es in der Schweiz zu einer politischen Krise – dem Landesstreik. Zehntausende legten damals ihre Arbeit nieder und demonstrierten gegen steigende Preise, für bessere Arbeitsbedingungen und mehr politische Mitsprache.

Die Schweizer Armeeführung liess in dieser angespannten Lage demonstrativ Truppen in Zürich einmarschieren. Der Bundesrat verbot Demonstrationen. Am 10. November 1918 versammelten sich trotzdem bis zu 7000 Menschen auf dem Münsterhof zum Protest. Militär trat ihnen entgegen. Die Truppen schossen in die Luft und über die Köpfe hinweg in die Hausfassaden. Ein Soldat wurde getötet, mehrere Personen verletzt. Bis heute ist ungeklärt, ob der Soldat durch einen Schuss aus den Reihen der Demonstrierenden oder durch einen Querschläger starb.

Der Landesstreik wurde von der Arbeiterbewegung schliesslich abgebrochen. Seine politischen Forderungen wurden in den Jahrzehnten danach teilweise verwirklicht. Der Münsterhof, der über Jahrhunderte als Marktplatz und Bühne für politische Ereignisse diente, wurde derweil zum Parkplatz umfunktioniert. Erst vor gut 10 Jahren restaurierte die Stadt den Platz. Die Autos mussten weg, es gab einen neuen Brunnen und der Münsterhof bekam seinen heutigen Charakter.

(osc)

veröffentlicht: 7. August 2022 08:53
aktualisiert: 7. August 2022 08:53
Quelle: ZüriToday

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