«Man kann noch lange nicht von Gleichberechtigung sprechen»
Mia, die diesjährige Pride steht unter dem Motto «trans–
Vielfalt leben». Was bedeutet das für dich?
Für mich geht es darum, an der Pride unsere Verschiedenheit zu feiern.
Dabei geht es nicht einmal nur um trans Menschen. Wir alle sind anders – auch
unabhängig von unserem Geschlecht oder unserer Sexualität. Das darf man auch
einmal feiern!
Gibt es auch politische oder gesellschaftliche
Errungenschaften zu feiern?
Klar. Seit dem ersten Januar können trans Menschen in der
Schweiz ihr Geschlecht und ihren Vornamen schneller und einfacher ändern. Das
ist ein Meilenstein und entsprechend auch ein Grund zum Feiern.
Du lebst seit 2012 als Mia. Wie waren damals die
Reaktionen aus deinem Umfeld?
Mein Umfeld hat eigentlich wenig spektakulär reagiert. Bei
der Arbeit sagte ich jeder Person meiner Abteilung persönlich, dass ich von nun
an Mia und nicht mehr Marco genannt werden möchte. Die Geschäftsleitung hat das
anschliessend auch so an die anderen Teams weitergeleitet. So viel ich weiss, gab es da auch nie Fragen
dazu. Das war dann vom einen auf den anderen Tag einfach so – ansonsten hat
sich nichts verändert. In meiner Familie war es ähnlich.
Gerade bei der Arbeit erleben trans Menschen oft mehr Abneigung...
Es gibt tatsächlich trans Menschen, die beispielsweise
im Verkauf arbeiten und nach ihrer Transition ins Lager verbannt werden, weg
von den Kundinnen und Kunden. Es kommt auch oft vor, dass trans Menschen auf
einmal grundlos ihren Job verlieren. Diese Szenarien sind leider nach wie
vor Realität.
Glaubst du, die Akzeptanz in der Gesellschaft hat seit deinem Outing zugenommen?
Ich glaube, die Gesellschaft hat mittlerweile ein gewisses
Grundverständnis. Die trans Community hat in den letzten Jahren ein grosses mediales
Interesse verspürt und durch die Berichterstattung ist das Thema auch in einem Grossteil
der Bevölkerung angekommen. Auch in der Politik und bei den Behörden – das braucht aber mehr
Zeit. Dementsprechend kann man auch noch lange nicht von Gleichberechtigung
sprechen. In der Gesellschaft glaube ich aber, dass wir schon wieder bei neuen
Themen angekommen sind.
Wo fehlt die Gleichberechtigung denn noch?
Beispielsweise bei offiziellen Dokumenten. Im Gesundheitssystem
bilden diese etwa eine zusätzliche Hürde. Oft muss man da einen amtlichen Namen
angeben, der vielleicht nicht mit dem tatsächlich verwendeten Namen von trans
Menschen übereinstimmt. Ausserdem sind trans Menschen nicht ausreichend gegen Diskriminierung
geschützt. Seit 2020 können schwulenfeindliche Handlungen und Äusserungen
strafrechtliche Folgen haben. Transfeindliche Äusserungen und Handlungen sind
dabei ausgeschlossen. Da gibt es also noch viel zu tun. Es braucht noch viele
politische Diskussionen und sicher noch 20 bis 30 Jahre Zeit, bis wir von Gleichstellung
sprechen können.