Lehrermangel

«Im schlimmsten Fall fehlen ab August Klassenlehrer in Regensdorf»

· Online seit 04.06.2022, 07:58 Uhr
Über Facebook und Whatsapp wird verzweifelt nach Lehrkräften gesucht. Warum sich das so schwierig gestaltet, warum die Eltern oft das grössere Problem als die Kinder sind und wie man den Lehrberuf attraktiver machen könnte, erklärt der Primarschulpflege-Präsident von Regensdorf im Interview.
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Der akute Lehrermangel in der Schweiz macht sich auch in Zürich deutlich bemerkbar. In Regensdorf erhielten die Eltern der schulpflichtigen Kinder diesbezüglich am 30. Mai einen Brief. Die Eltern wurden darin informiert, dass im schlimmsten Fall bis zum 22. August keine Klassenlehrperson gefunden werden könnte. Die Schule müsste dann mit kurzfristigen Stellvertretungen arbeiten, wobei auch hier der Markt ausgetrocknet sei.

Der Präsident der Schulpflege, Beat Hartmann, blickt kritisch in die ungewisse Zukunft der Primarschule in Regensdorf.

Herr Hartmann, was machen Sie, wenn Sie wirklich keine Lehrpersonen finden?

Hartmann: Das ist natürlich eine grosse Herausforderung für uns, keine Frage. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, werden wir wohl mit Übergangslösungen arbeiten müssen. Vielleicht Lehrpersonen einstellen, die kein Lehrpatent haben? In der Kindergartenstufe könnten das zum Beispiel Fachmänner und Fachfrauen Betreuung im Bereich für Kleinkinder sein.

Wäre es eine Lösung, Klassen zusammenzulegen?

Das ist wirklich das Worst-Case-Szenario. Man hat bestimme Vorgaben und auch die Klassenzimmer lassen sich ja nicht einfach vergrössern. Das wäre wirklich nur die aller-, allerletzte Option. Man könnte beispielsweise auch mit Sozialpädagogen arbeiten oder Fachlehrpersonen vorübergehend als Klassenlehrer einsetzen. Die Fachlehrpersonen würden dann aber zum Beispiel in der integrierenden Förderung oder in Kursen wie Deutsch als Zweitsprache fehlen, die besonders wichtig sind für Kinder, die nicht hier aufgewachsen sind. Am Ende muss aber das grosse Ganze am Laufen gehalten werden.

Wie erklären Sie sich diesen Mangel an Lehrpersonen?

Es hat einfach zu wenig Lehrer. Dazu kommt oft eine kurze Verweildauer, das heisst soviel wie, wenn sie zwei drei Klassenzyklen hinter sich haben, wechseln viele in die Privatwirtschaft oder absolvieren eine Ausbildung zu Heilpädagogen oder wählen andere Fachausbildungen.

Gibt es weitere Gründe?

Es haben aber auch aktuelle Geschehnisse einen Einfluss. Zum einen Corona und jetzt die Zuwanderung aus der Ukraine. In Regensdorf musste bereits eine zusätzliche Klasse aufgemacht werden. Und das allgemeine Bevölkerungswachstum spielt eine grosse Rolle.

Warum wählen so viele diesen Weg?

Mit den Einzelausbildungen wie zum Beispiel der Ausbildung zur Heilpädagogin oder Heilpädagogen, die eine zusätzliche Masterarbeit beinhaltet, verdient man schlichtweg einfach mehr.

Wo gibt es Probleme?

Es gibt Personen, die managen das gut mit der Klasse und aber auch Menschen, die ihre Mühe haben. In Regensdorf zum Beispiel arbeitet man mit absolut einer multikulturellen Klientel und das kann schon Herausforderungen mit sich bringen. Wenn man die Klasse vorwärts bringen und jeden Schüler und jede Schülerin optimal fördern will, ist das nicht so einfach. Ein grosses Problem ist auch, dass immer mehr Personen Teilzeit arbeiten. Würde jede Person 1 Prozent mehr arbeiten, gäbe es in der Schweiz keinen Mangel an Lehrkräften.

Wo ist der Lehrermangel am gravierendsten?

Die Not ist bei den Kindergärten am grössten. Dann kommen die Primarschulklassen. Die Sekundarstufe hat es mittlerweile aber auch schon erreicht. In der Sek sind aber auch die Löhne höher und es gibt mehr Möglichkeiten, womit Schwankungen aufgefangen werden können.

Was müsste man denn machen, um mehr Menschen zu motivieren, Lehrerin und Lehrer zu werden?

Ich glaube es würde helfen, wenn man die Ausbildung anders gestalten würde und natürlich mehr Ausbildungsplätze schafft. Dazu müsste die Ausbildung für mehr Personen zugänglich sein. Ausserdem finde ich die Schwelle relativ hoch. Also was man alles mitbringen muss für zum Beispiel den Kindsgi und die erste bis dritte Klasse. Das ist schon viel. Vor allem in den Bereichen Sprache und Sport. Um den Kindern ein paar Sätze Englisch beizubringen, muss ich nicht Englisch studiert haben oder zig Zertifikate haben.

Was wünschen Sie sich?

Ich könnte mir auch unterschiedliche Lehrgänge vorstellen, mit unterschiedlichen Lohnklassen. Vor allem wünsche ich mir mehr Ausbildungsplätze und ganz besonders: mehr Unterstützung von den Eltern. Lehrer sein an sich ist mit den Kindern schon eine Herausforderung. Die Eltern sind da aber noch schwieriger. Während früher das Problem noch beim Kind gesucht wurde, ist für die Eltern heute immer der Lehrer oder die Lehrerin das Problem.

Sie sind Religionslehrer, was hat Sie persönlich dazu bewogen, den Lehrerberuf zu wählen?

Ich finde die Arbeit mit Kindern total spannend. Kinder fördern, ihnen neue Sachen zu zeigen. Die Würze ist es, einfach mit Kindern zu arbeiten.

Muss man froh sein, wenn sich überhaupt jemand bewirbt?

Ja und Nein. Natürlich kommt immer wieder eine Bewerbung, die man trotz Mangel nicht berücksichtigt. Wenn jemand von den letzten drei Stellen freigestellt wurde, weiss man auch, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Wir versuchen schon auf allen Wegen, Personal zu finden. Sei es auf Facebook, in Whatsapp-Gruppen, überall. Wenn man heutzutage Lehrer oder Lehrerin ist, kann man durchaus sagen: «Nicht ich finde die Stelle, die Stelle findet mich», weil es so viele offene Positionen gibt, so blöd das auch klingt.

veröffentlicht: 4. Juni 2022 07:58
aktualisiert: 4. Juni 2022 07:58
Quelle: ZüriToday

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