Streitthema: Flüsterasphalt

Kann ein Strassenbelag Tempo 30 in Zürich verhindern?

Lothar Josef Lechner Bazzanella, 26. April 2022, 14:47 Uhr
Eine Initiative der Bürgerlichen im Zürcher Kantonsrat fordert mehr Flüsterasphalt in der Innenstadt. Grüne und Linke sehen rot. Das Material sei alles andere als nachhaltig. Doch was taugt der besondere Belag überhaupt? Kann er das Lärmproblem der Innenstadt lösen?
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Autos, Busse und Töffs, die über Strassen fahren, verursachen – wen wunderts – Lärm. So viel Lärm, dass immer häufiger Schutzgrenzwerte überschritten werden. Am Montag hat der Zürcher Kantonsrat deshalb einen Vorstoss der Bürgerlichen unterstützt, vermehrt sogenannte Flüsterbeläge zu verlegen. Sprich: Strassen, die so gebaut sind, dass sie Lärm schlucken. Linke und Grüne sehen dies als einen getarnten Angriff auf Tempo 30. Mit der Entschuldigung, durch das Material Lärm zu beseitigen, würde man Tempo 30 in der Innenstadt kippen wollen. Flüsterbeläge seien ausserdem nicht nachhaltig und noch dazu viel zu teuer.

Doch was taugt Flüsterasphalt überhaupt? Was macht das Material so besonders? Was sind die Vor- und Nachteile?

50 Prozent weniger Lärm

Flüsterasphalt wurde ursprünglich in den 1940ern dafür konzipiert, Wasser schneller aufzunehmen als andere Strassenbeläge. Vor allem für Landepisten von Flugzeugen wurde deshalb ein sehr grobporiger Asphalt entwickelt. Daher auch die Bezeichnung Drain-Asphalt, vom Englischen «to drain» – trockenlegen. Dadurch sind solche Fahrbahnen bei Nässe auch viel weniger rutschig. Das Risiko von Aquaplaning ist deutlich reduziert.

Flüsterasphalt schluckt nicht nur Lärm. Auch Regenwasser fliesst viel schneller ab.

© Keystone/DPA ZB/STEFAN SAUER

Schnell merkte man, dass es auch einen weiteren positiven Effekt mit sich brachte: Flüsterasphalt schafft es, die empfundene Lautstärke von Reifengeräuschen auf Fahrbahnen um bis zur Hälfte zu reduzieren. Der Grund: Die groben Schotterkörner bilden viel mehr Hohlräume im Asphalt. Ausserdem ist das Material aufgrund seiner besonderen Mischung viel elastischer. Die Luft zwischen Reifen und Fahrbahn wird so beim Fahren nicht verdichtet und produziert demnach keinen Lärm, sondern dringt in die Poren des Asphalts ein und verflüchtigt sich dort.

Kurzlebig und teuer?

Flüsterasphalt herzustellen ist um einiges teurer als herkömmliche Strassenbeläge. So muss man normalerweise mit dreimal so hohen Kosten rechnen, wie eine Untersuchung aus Hamburg aus dem Jahre 2020 zeigt. Ausserdem hat Flüsterasphalt eine deutlich kürzere Lebensdauer. Alle acht bis zehn Jahre müssten die Beläge erneuert werden, da die Poren, die den Lärm schlucken sollten, mit der Zeit verstopfen und so ihre Wirkung verlieren. Normaler Asphalt «lebt» in der Regel zwei bis vier Jahre länger.

Aber auch die Instandhaltung des Flüsterasphalts ist mühsamer als sonst. Vor allem im Winter kann das zu erheblichen Problemen führen. Herrscht Glatteis und Frost, dann verliert sowohl Streusplitt als auch Streusalz an Wirkung. Der Splitt dringt nämlich in die Hohlräume und verstopft diese. Das Salz verschwindet viel schneller von der Fahrbahn und verliert wegen der grossen Poren seine Wirkung.

Schlechte Alternative für die Innenstadt?

Laut einer Studie des deutschen Bundesamts für Umwelt ist Flüsterasphalt vor allem auf jenen Strassen am effektivsten, auf denen schnell gefahren wird. Wo viel gebremst und langsam gefahren wird – also zum Beispiel in der Zürcher Innenstadt – wird der Asphalt noch viel schneller abgetragen und verliert früh seine Wirkung. Auch die vermehrte Verschmutzungsgefahr in Innenstädten – etwa durch Müll oder Laub – ist hier ein Problem, weshalb Flüsterasphalt der Studie zufolge vor allem für Autobahnen eingesetzt werden sollte.

Fazit

Dass Flüsterasphalt Lärm reduziert, ist unbestritten. Lärmpegel an besonders schnell befahrenen Orten lassen sich mit dem Belag deutlich senken. Dass aber die Zürcher Innenstadt dafür der beste Ort ist, bleibt fraglich. Vor allem müsse man sich auf deutlich höhere Kosten gefasst machen, wie die allermeisten Studien bestätigen.

Sowohl bei der Herstellung als auch bei Instandhaltung und Sanierung ist Flüsterasphalt um einiges teurer als die herkömmliche Variante. Anzumerken bleibt, dass sich das Material weiterhin in der Entwicklungsphase befindet. Die Langlebigkeit von Flüsterasphalt könnte in den nächsten Jahren weiter steigen. Und auch der Preis für das Material sollte sinken, wenn man Branchenexperten glaubt.

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 27. April 2022 05:54
aktualisiert: 27. April 2022 05:54