Ein schlechtes Date endet meist mit einem Korb. Manche Frauen aber verteilen Männern Strafanzeigen fast so fleissig wie Körbe. «Heutzutage passiert es häufiger, dass Frauen die Polizei rufen, weil sie sich sexuell belästigt fühlten», sagt der Zürcher Anwalt Marc Schmid. Die Männer dagegen hätten dies nur als Kuss oder «Herummachen» empfunden.
In den letzten Jahren half Marc Schmid mehreren Klienten, sich gegen falsche Anschuldigungen von Frauen wegen sexueller Übergriffe zu verteidigen. Aktuell bearbeite er rund zehn solche Fälle, sagt der Anwalt. «Unter jüngeren Frauen ist es selbstverständlich geworden, sofort die Polizei zu alarmieren, sobald ein Mann an einem Date körperliche Avancen gemacht hat.»
Versehentliche Berührungen
Zum Beispiel treffen sich die Frau und der Mann laut Schmid im Ausgang und flirten. Dann versucht der Mann, die Frau zu küssen. Die Frau weicht aus. Der Flirt geht weiter und bei einem erneuten Kussversuch fühlt sich die Frau belästigt und schreit. Die vorbeifahrende Polizei sieht den Vorfall und nimmt den Mann in Gewahrsam. Erst am nächsten Morgen wird er freigelassen. Gleichzeitig erstattet die Frau Anzeige bei der Polizei. Später und nach weiteren Einvernahmen wird das Verfahren eingestellt.
In einem anderen Beispiel flirten die Frau und der Mann im Ausgang und küssen sich – intensiv sogar. Intime Berührungen will die Frau aber keine. Bei einer Umarmung berührt der Mann sie aber versehentlich am Gesäss oder Busen, worauf sie Strafanzeige erstattet.
Solche Dating-Fälle würden nach der Befragung beider Betroffener wieder eingestellt, sagt Marc Schmid. Seien hingegen Verletzungen dokumentiert und fehlten entlastende Zeugen, könne es schwierig werden, einen Beschuldigten zu verteidigen.
Nach Date folgt Vorladung zur Einvernahme
Die Anschuldigungen sind für die betroffenen Männer laut Marc Schmid jeweils ein Schock. «Erhalten sie nach einem Date plötzlich von der Polizei eine Vorladung zur Einvernahme wegen sexueller Belästigung, suchen sie sofort einen Anwalt.» Oft dauere es mehrere Monate, bis klar sei, ob es überhaupt zu einer Anklage komme oder ob die Anschuldigungen fallen gelassen würden.
Die MeToo-Bewegung, die 2017 ins Rollen kam, hat das jahrelang unter den Teppich gekehrte Problem der sexuellen Belästigung an die Oberfläche gespült. Seither reagiert die Gesellschaft sensibler auf die Verhaltensweisen vor allem von Männern gegenüber Frauen. Er habe den Eindruck, dass man sich als Frau nichts mehr gefallen lassen wolle, sagt Marc Schmid. «Es gibt auch junge Frauen, die untereinander damit prahlen, dass sie sofort die Polizei rufen, wenn ein Mann ihnen bei einem Date zu nahe kommt.»
Datingpartner müsse informiert werden
Markus Theunert, Gesamtleiter des Dachverbands der Schweizer Männer- und Väterorganisationen Männer.ch, stellt fest, dass die Sensibilität für sexuelle Belästigung gestiegen ist. Den Grundsatz ‹Nur ja heisst ja› bei einem Flirt und bei Körperkontakt finde er richtig. «Gerade deshalb braucht es aber Sorgfalt bei der Unterscheidung, was kommunikatives Missverständnis und was sexuelle Grenzverletzung ist.»
Als Beispiel erwähnt Theunert die Situation, in der ein Mann eine Frau nach Hause begleitet und fragt, ob er zu ihr kommen dürfe. Die Frau bittet, «es langsam anzugehen», worauf der Mann ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange drückt. Theunert: «Wenn diese Geste eine Grenze der betroffenen Frau verletzt, braucht es nicht die Polizei, sondern eine Rückmeldung.»
Theunert empfiehlt deshalb, den Datingpartner mit der empfundenen Grenzverletzung zu konfrontieren. So erhalte dieser auch eine Chance, sein Verhalten zu reflektieren. Dadurch steige die Sensibilität auf beiden Seiten. «Anders ist es natürlich, wenn die Frau Nein gesagt oder ihr Widerstreben sonstwie wahrnehmbar kundgetan hat und der Mann sie trotzdem küsst.» Dann liege eine klare Grenzverletzung vor.
«Nur ja heisst ja» oder «Nein heisst Nein»?
Jede fünfte Frau ab 16 Jahren hat laut einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern in der einen oder anderen Form sexuelle Gewalt erlebt. Mehr als jede zehnte Frau erlitt Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Das Sexualstrafrecht befindet sich deshalb in einem Wandel.
Die SP Frauen und die SP fordern, dass Artikel 190 im Strafgesetzbuch neu definiert wird. Demnach soll «Nur ja heisst ja» gelten. Dieser Grundsatz anerkennt unabhängig von Geschlecht und Körper der betroffenen Person jede sexuelle Handlung ohne Zustimmung als Vergewaltigung an. Der Nationalrat sprach sich in der Wintersession für die Zustimmungslösung aus. Der Ständerat hingegen hält an «Nein heisst Nein» fest. Bei der Widerspruchslösung macht sich nur strafbar, wer sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person vornimmt.